Mit dem Tablet multiliteral werden

Dürfen Kinder Schrift in Verbindung mit Zeichnungen, Bil­dern, Audiobeiträgen und Filmen nutzen, kommunizieren sie ihr tatsächlich erarbeitetes Wissen und nicht nur, was ihre Schreibkompetenzen motorisch und kognitiv zulassen. (Ergebnis aus dem Pilotprojekt «myPad multimodal».)1

von Esther Wiesner und Claudia Fischer

Mobiles digitales Lernen – Anbindung an die Schule
Brauchen wir erste Fakten zu einem neuen Thema oder sind wir uns in einer Diskussion in einer Frage uneinig, greifen wir zum Tablet, Smartphone oder der iWatch und konsultieren entsprechende Dienste im Internet. Dieselben Geräte nutzen wir, um mit anderen in Kontakt zu bleiben und um uns mitzuteilen. Wir kommunizieren per Whats-App, Messenger oder Skype, greifen dabei auf Schrift, Fotos, Audio und Film zurück: Organisation, Zugriff, Umgang und Austausch im Zusammenhang mit Wissen haben sich mit den gesellschaftlichen und – damit einhergehend – mit den medienbezogenen Ent­wicklungen verändert. Wissen ist inzwischen so gut wie jederzeit zugänglich und für eigene Bedürfnisse nutzbar. Hierin bieten sich bis dahin ungeahnte Möglichkeiten für multiliterale Praxen.

Und unweigerlich stellt sich die Frage: Lassen sich mobile digitale Medien wie Tablets auch lernförderlich für den Unterricht nutzen? – Die Frage muss mit einem klaren Ja beantwortet werden: Dass und wie Kinder in Kinder­garten und Primarschule sinnvoll mit dem Tablet arbeiten, haben das Zentrum Lesen und imedias im Pilotprojekt «myPad multimodal» untersucht. Dazu haben wir den Unterrichtsauftrag «Einen Lernausgang dokumentieren und präsentieren»2 entwickelt und sowohl im Kindergar­ten als auch auf der Unterstufe eingesetzt. Inwiefern und wie er sich bewährt hat, zeigen wir im Folgenden auf.

Projektauftrag «Einen Lernausgang dokumentieren und präsentieren»
Die Lehrperson unternimmt mit der Klasse einen Lern­ausgang, der zu einem Thema passt, das die Klasse gerade beschäftigt.
In diesem Setting wird selbstgesteuert, kooperativ und digital gelernt; die Lehrperson steht jederzeit helfend und unterstützend zur Seite. Der Auftrag für die Kinder lautet, ein spezifisches Gebiet in Kleingruppen (von 2 oder 3 Kindern) zu recherchieren und mit dem Tablet zu dokumentieren. Im Anschluss an den Ausflug vertiefen sie das Thema. Ihre Erkenntnisse halten sie mit dem Tablet in einem multimodalen Dokument fest. Damit meinen wir ein mit Apps erstelltes e-Book oder ein Key­note-Dokument.

Kommunizierter Zweck der Aufgabe ist es, das Grup­penthema mit Hilfe der multimodalen Dokumente den anderen Kindern in der Klasse möglichst interessant, unterhaltsam, vielseitig und informativ zu präsentieren. Um den Auftrag und seine Durchführung im Pilotprojekt «myPad multimodal» zu evaluieren und festzustellen, wie Kinder mit dem Auftrag umgehen und was sie dabei ler­nen, haben wir ihre multimodalen Dokumente analysiert. Zudem haben wir ihre Präsentationen vor der Klasse ge­filmt und sie zu ihren Erfahrungen interviewt (siehe Schlussbericht unter: www.zentrumlesen.ch).

Zur Veranschaulichung stellen wir ausschnittweise Daten aus dem Pilotprojekt kommentierend vor.

Beispiel Kindergarten zum Thema «Aue»
Die Gruppen recherchierten Materialien und Informa­tionen zum Gruppenthema, dem gewählten Auentier, in Büchern, in Videos, im Internet, im Naturama (Ausstellung und Mediathek) und in der Auenlandschaft an der Aare.

Mit dem Tablet protokollierten die Kinder die Ergeb­nisse vor Ort mit Fotos, Zeichnungen, Ton oder Skizzen und ergänzten sie später bei Bedarf. Die Kinder mussten über die wichtigsten Informationen und deren Präsen­tation entscheiden. Es galt also, zu recherchieren, zu sichten, zu bewerten und zu ordnen. In konzentrierter Auseinandersetzung erstellten sie aus ihrer Zusammen­stellung ihr multimodales Dokument.

Multimodale Dokumente und Präsentationen
Da sich das Quaken des Froschs am besten auditiv ver­mitteln lässt, das Funktionieren seines Lebenskreislaufs hingegen eher grafisch und Erklärungen dazu verbal, entstanden Dokumente, die mit verschiedenen Modi – multimodal – funktionieren. Das Dokument der Kindergartengruppe «Gelbbauchunke» (vgl. Abb. l) etwa besteht aus folgenden Modi:

  • Bilder: Fotos (selber erstellt, aus dem Internet, aus Büchern) und Zeichnungen (selber auf dem Tablet er­ stellt oder auf Papier gezeichnet),
  • Schrift: Text (fotografiert),
  • Audio: Tonaufnahmen (selber gesprochener Vortragstext).


Abb. 1: : Slide aus dem multi­modalen Dokument «Gelb­bauchunke», Kindergarten zum Thema «Aue». Gssen­angabe Gelbbauchunke, 5 cm mit Fingern angezeigt, foto­grafiert und per Audiofunktion kommentiert.

Die Dokumente der Kindergartenkinder weisen im Ver­gleich zu denjenigen der Primarstufe deutlich mehr sprachliche Audioanteile auf. Das hat mit einer cleveren Adaption der Aufgabenlösung an die eigenen Kompeten­zen zu tun: Die Kinder aus dem Kindergarten konnten ja noch nicht schreiben. Dennoch wollten sie das Recher­chierte für die Präsentation vor der Klasse verfügbar halten. Also griffen sie auf das Mittel der Audioaufnahme zurück. Sie nahmen ihren Vortragstext auf, integrierten ihn in ihr Dokument und mussten ihn dann in der Vor­tragssituation nur noch abspielen.

Die Dokumente der Primarschülerinnen fielen übrigens ähnlich verbalsprach-basiert aus, allerdings – entwick­lungsbedingt – schriftlastiger: Zurückzuführen ist dies auf die schriftlichen Notizen für den Vortrag, aber auch eine vermehrt Schrift integrierende Darstellung einzelner Themenaspekte. Deutlich wird hier: Schrift geht in mul­timodalen Settings nicht verloren, sie wird vielmehr – bezogen auf die ontogenetische, die (multi-)literale Ent­wicklung und den fraglichen Themenaspekt (Stichwort «Frosch») – funktional eingesetzt.


Abb. 2: Slide aus dem multi­modalen Dokument «Die Ziege», Primarschule zum Thema «Bauernhof ». Der Slide baut sich anhand von verschiedenen Schrift-, Bild-­ und Effektanteilen auf.

 

Wichtig zu beachten

Apps: Die Kinder müssen mit Apps vertraut gemacht werden, die für den Auftrag passend sind. Die Erfahrung im Pilotprojekt zeigte, dass die Kinder intuitiv und sehr rasch damit zurechtkommen.

Recherchieren: Recherchiert wird alleine, in Grup­pen und mit Hilfe der Lehrperson oder der Eltern. Quellen sind Bücher, Fachzeitschriften, (von der Lehrperson bereitgestellte) Internetdienste und Ma­terialien, Besuche vor Ort und befragte Expertinnen.

Anzahl Geräte: Es bietet sich an, die Kinder selbst­ gesteuert in Gruppen arbeiten zu lassen. Aus diesem Grund empfehlen wir, zwei bis drei Kinder zusam­men ein Tablet nutzen zu lassen.

Rolle der Lehrperson: Die Lehrperson fungiert in diesem offenen Lernsetting als Coach; sie unterstützt, lenkt und begleitet.

Zeitlicher Rahmen: Im Pilotprojekt waren die Klas­sen bereits geübt im Umgang mit Tablets, so dass die Einführung äusserst kurz gehalten werden konnte. Danach arbeiteten sie zwischen zwei bis fünf Wo­chen am Projektauftrag. Dabei befassten sie sich in erster Linie mit dem Recherchieren und Gestalten. Das Präsentieren kam dem gegenüber in dieser Zeit­spanne zu kurz, so dass wir eher fünf bis sechs Wo­chen empfehlen.

 

Ergebnisse in aller Kürze
Im Pilotprojekt «myPad multimodal» konnten wir fest­stellen:

  • Kinder, die sich multimodal ausdrücken dürfen, werden in ihrer Multiliteralität gestärkt.
  • Die Kinder entwickeln Interesse an ihrem Thema durch die sinnvolle Bearbeitung desselben.
  • Lernenden und Lehrenden steht mit den Tablets ein ein­faches und effektives Mittel zur Verfügung, Lernpro­zesse kriterienorientiert zu beobachten und in Peer-to­-Peer-Interaktionen oder im Austausch mit der Lehr­person für das eigene Weiterkommen zu nutzen.

Ausführlichere Informationen liefern die Handreichung zuhanden von Lehrpersonen und der Bericht zur Studie.

«myPad multimodal» ist ein Pilotprojekt des Zentrums Lesen und imedias. Unter der Leitung von Esther Wiesner wurde von Februar bis Dezember 2014 untersucht, wie Kinder aus der Schuleingangsstufe mit dem Tablet multimodale Texte produzieren.

2 Wir haben hier in Abgrenzung zum Begriff «Lehrausgang» bewusst den Terminus «Lernausgang» gewählt, da bei unserem didaktischen Setting das selbständige Erlernen und nicht das Lehren im Zentrum steht.

 

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