Anna Woltz: Gips oder Wie ich an einem einzigen Tag die Welt reparierte
Fitz (seit kurzem will sie nicht mehr Felicia genannt werden) ist 12 Jahre und drei Wochen alt. Sie ist zum ersten Mal in der Wohnung ihres Vaters. Ihre Eltern wollen sich scheiden lassen, das mit der ewigen Liebe hat bei ihnen wohl nicht hingehauen. Fitz findet es schrecklich, dass sich Menschen, die sich so geliebt haben, sich plötzlich trennen wollen. Fitz ist verzweifelt, ihre Welt ist aus den Fugen geraten und sie hat das Gefühl, niemand mehr habe sie lieb. Da sieht sie vom Fenster aus, wie Papa mit seinem Fahrrad hinfällt und mit ihm ihre kleinere Schwester Bente. Bente blutet wie verrückt, ihre eine Fingerkuppe liegt im Schnee. Bente muss sofort ins Krankenhaus und natürlich geht Fitz mit. Es dauert ewig, bis sie drankommen, es dauert den ganzen Tag, bis Bente ihre Fingerkuppe wieder angenäht bekommt. Fitz hat Zeit nachzudenken, Fitz hat auch Zeit, sich in diesem riesigen Krankenhaus umzuschauen und Leute kennenzulernen. Sie begegnet in den langen Gängen Adam, einem Jungen, der nicht nur toll aussieht, sondern auch sehr gut zuhören kann. Endlich kann sie mit jemandem reden und von ihrem Kummer berichten. Fitz und Adam besuchen dann gemeinsam nicht nur das viel zu früh geborene Brüderchen von Adam, sie klauen wegen besonderer Umstände auch Gips aus einem Behandlungszimmer, freunden sich mit der herzkranken Primula an und helfen der besonders netten Krankenschwester Yasmine, sich endlich zu verlieben. Wahnsinn, was man an einem einzigen Tag erleben kann, verrückt, wie viel klüger man abends sein kann, wenn man sich auf Menschen und Gespräche einlässt, findet Fitz. Sie hat nicht nur viel gelernt, sie hat sich wohl auch ein bisschen verliebt. Und dies ist ein völlig neues, aber einmalig schönes Gefühl.
Fitz hat eine ganze Menge Sorgen, aber Fitz ist eine, die etwas dagegen unternimmt. Frech ist sie stellenweise, sie schwindelt und kann sich total daneben benehmen. Aber sie ist mutig, setzt alle Hebel an, damit es ihr besser geht, bringt sogar einen Oberarzt dazu, über seine Jugend als Scheidungskind zu berichten. Und wenn sie sich mit Adam über die Liebe unterhält, über die Angst einen Menschen zu verlieren, dann ist Fitz sehr viel älter als gerade mal 12 Jahre und 3 Wochen, dann bringen die beiden Lesende zum Nachdenken und vielleicht sogar zum Staunen. Anna Woltz greift ein ernsthaftes Thema auf, sie tut dies aber inhaltlich und sprachlich so glaubhaft und humorvoll, dass man beim Lesen gar nicht weiss, ob man lachen oder heulen soll. Eine ernsthaft vergnügliche und wunderbare Lektüre also für Leserinnen ab etwa 12 Jahren.
Anna Woltz: Gips oder Wie ich an einem einzigen Tag die Welt reparierte. Carlsen, 2016. ISBN: 978-3-551-55676-9
Rezension: Maria Riss