Buch des Monats Februar 2019
Jutta Richter: Frau Wolle und der Duft von Schokolade
Jeden Morgen auf ihrem Schulweg müssen Merle und Moritz an Gesine Wolkensteins schwarzem Laden vorbei, der angeblich Kinder verschluckt. Denn die beiden wohnen mit Mama am Hasenweg und auf dem Schulweg führt für die Hasenwegkinder kein Weg an diesem unheimlichen Laden vorbei. Von Papa ist den beiden nur der «Weltempfänger» geblieben. Mit ihm kann man Radio von überall auf der Welt hören. Gemeinsam drehen Merle und Moritz jeden Abend so lange an den Rädchen, bis Papas Stimme erklingt. Es ist dann ein bisschen wie früher, als er ihnen die wildesten Geschichten erzählt hat. Als Mama den beiden eines Tages eröffnet, dass sie von nun an Nachtschicht arbeiten muss und die beiden deshalb eine Nachtfrau bekommen würden, sind Merle und Moritz wenig begeistert. Doch als sie erfahren, um wen es sich dabei handeln soll, wird ihnen sogar richtig mulmig: Gesine Wolkenstein. Schon gleich am ersten Abend wird Merle diese Frau mit den Augen, die die Farbe wechseln können und ihren stets plüschigen Jacken noch unheimlicher. Vor allem auch, weil sie seltsamerweise viele Dinge aus früheren Geschichten von Papa aufgreift. In der Nacht, als die Geschwister nach einem warmen Kakao von Frau Wolkenstein ins Bett geschickt werden, erscheint plötzlich eine Tür im Kinderzimmer, angeschrieben mit «Murkelei». In Erinnerung an Papas spannende Geschichten um dieses gefahrenreiche Land treten die beiden über die Türschwelle. Hinter der Tür wartet die Welt von Frau Wolle auf die beiden: Dort gibt es Spitzzahntrolle, die in Reimen sprechen und Berge von Schokolade, von denen die beiden reichlich essen sollen, um sich auch in Spitzzahntrolle zu verwandeln. Die beiden entkommen zwar den Schokoladenschwertern der unheimlichen Wesen, verlieren jedoch auf ihrer Flucht ins Kinderzimmer den Weltempfänger. Um diesen und mit ihm ihre einzige Verbindung zu Papa zurückzubekommen, riskieren die Geschwister viel. Erneut betreten sie in der nächsten Nacht die Murkelei. Welche Rolle spielen wohl die Eisvogelfedern, die Frau Wolkenstein den beiden geschenkt hat, oder der Zettel in Merles Brotdose «5 Regeln für die Murkelei»? Werden die beiden es schaffen, den Weltempfänger in den verwinkelten Tunneln wiederzufinden? All das lohnt es sich nachzulesen.
Mit «Frau Wolle und der Duft von Schokolade» hält man ein schmales Buch in Händen, das grosse Erwartungen weckt: Es lockt mit seinem märchenhaften Titel, dem geheimnisvollen Cover und einer angesehenen Autorin. Alle Versprechen werden gehalten – dieses Buch ist ein phantastisch-modernes Abenteuer voller witziger Pointen. Die Geschichte greift menschliche Sehnsüchte authentisch auf und nutzt neben klassischen Phantastikmotiven, wie unheimlichen Kindermädchen und verborgenen Türen, auch immer wieder schräge Märchenmotive, die überraschende Bilder entstehen lassen. Durch ihre klare und zugleich poetische Sprache lässt Jutta Richter die Lesenden auch in dieser Geschichte ganz nahe an die Figuren und das traumartige Geschehen heran. Die fein gezeichneten Illustrationen von Günter Mattei helfen beim Verstehen der Geschichte und setzen der Phantasie dennoch keine Grenzen. Mit ihrem gekonnten Wechselspiel aus gedeckten und leuchtenden Farben unterstreichen die Bilder die geheimnisvolle Spannung, die sich durch die ganze Geschichte zieht, sodass man das Buch am liebsten gar nicht mehr zur Seite legen möchte. Das Buch ist ein richtiges kleines Kunstwerk, das mit seinen kurzen Kapiteln einen wunderbar-unheimlichen (Vor-)Lesegenuss zum Mitfiebern und Mitträumen für Kinder ab 9 Jahren bietet.
Jutta Richter: Frau Wolle und der Duft von Schokolade. Hanser 2019. ISBN 978-3731312116
Rezension: Franziska Weber