Buch des Monats Januar 2023
Ludmilla Ulitzkaja: Ein glücklicher Zufall
Der kleine Band enthält sechs kurze Geschichten, die vom kargen Leben in Russland nach dem zweiten Weltkrieg erzählen. In einer wunderbar reduzierten und poetischen Sprache erzählt die berühmte russische Autorin von Kindern, die am Rande leben, deren Leben von Entbehrung, Armut und Not geprägt ist. Trotzdem sind die Geschichten von leichter Ironie und Hoffnung geprägt, sie sind berührend und so treffend geschrieben, dass man beim Lesen selbst die Düfte zu riechen glaubt. Es sind die ganz kleinen Freuden, die das ärmliche Leben für die Kinder erträglicher machen: Das Wühlen in den alten Sachen auf dem Dachboden, das Schwimmenlassen von Papierschiffchen im nahen Bach oder eine zerknautschte Plüschente, die der sonst so knausrige Lumpensammler an die Kinder verschenkt. Die wenigsten Kinder werden dieses Buch von sich aus auswählen, hier braucht es erwachsene Vermittler:innen, die ihnen einen Zugang zur Anmut dieser Sprache verschaffen. Deshalb eignen sich die Geschichten hervorragend zum Vorlesen, in ihrer Prägnanz und Ausstrahlung werden sie es vielen Kindern ermöglichen, erste Erfahrungen mit literarischen Texten zu sammeln. Es braucht keine dicken Wälzer und komplizierte Analysen, um Kindern die Schönheit von poetisch verfassten Texten erlebbar zu machen. Es können kurze, stimmungsvolle und ruhige Geschichten sein, wie sie im vorliegenden Buch enthalten sind. Ab etwa 8 Jahren. 84 Seiten.
Ludmilla Ulitzkaja: Ein glücklicher Zufall. Mit Bildern von Hildegard Müller. Aus dem Russischen von Ganna-Maria Braungardt. dtv Reihe Hanser 2022. ISBN: 978-3-423-64100-5
Rezension: Maria Riss