Buch des Monats Juli 2020
Christoph Scheuring: Sturm
Sie hat es endlich getan: Nora hat zurückgeschlagen, ihren stets betrunkenen und prügelnden Vater in die Knie gezwungen. Seither fühlt sich Nora nicht nur sehr viel freier, sie spürt nun ihre eigentliche Kraft und eine unermesslich grosse Wut. Plötzlich ist sie nicht mehr die unscheinbare, scheue 18-Jährige, die sich überall nur wegduckt. Sie beginnt sich für das Tierwohl zu engagieren und kettet sich am Tor des örtlichen Schlachthofes fest. Nora wird verhaftet, angeklagt und zu 300 Sozialstunden verurteilt. Diese leistet sie als Observerin einer Umweltorganisation auf einem kanadischen Fischkutter ab. Dort lernt sie den jungen, wortkargen Johan kennen, er ist Kapitän des Schiffs und kennt das Meer wie kein zweiter. Zwei völlig verschiedene Welten prallen aufeinander: Nora, die militante Tierschützerin und Johan, der zwar Fische tötet, aber doch viel mehr im Einklang mit der Natur lebt, als die junge Städterin. Und dann kommt ein Sturm auf, der so gewaltig ist, dass der alte Fischkutter Schiffbruch erleidet. In einem winzigen Ruderboot sind Nora und Johan nun allein. Fast 10 Tage lang kämpfen sich die beiden durch die meterhohen Wellen und sind ausschliesslich mit dem Überleben beschäftigt. Johan weiss, was zu tun ist, er teilt das Trinkwasser und die wenigen Lebensmittel ein und er kennt die Richtung, in die sie rudern müssen. Als Johan aber seinen Arm bricht, muss Nora die Führung übernehmen. Die beiden schaffen es an Land, weil Johan über das nötige Wissen verfügt und Nora all ihre Kraft und ihren Willen einsetzt.
«Sturm» ist ein Buch, das man in einem Zug liest und nicht mehr weglegen kann. Da ist die äusserliche riesengrosse Spannung, Noras wagemutiges Handeln für das Wohl der Tiere und ihr Kampf ums nackte Überleben im unsäglichen Sturm. Genauso faszinierend sind aber auch die inneren Sichtweisen dieser so willensstarken Protagonistin. Dem Autor ist es gelungen, den richtigen Ton zu treffen. Zu Beginn spürt man Noras grossen Zorn in jeder Zeile und beim Kampf ums Überleben ebenso. In den vielen Gesprächen mit Johan wird der Ton aber ruhiger und nachdenklicher, der Erzählfluss langsamer. Christoph Scheuring streift in seinem neuen Buch sehr viele wichtige Themen wie Umwelt, Tierschutz, Liebe, Wut und Gewalt. Trotzdem wirkt das Buch nicht überladen, die Geschichte ist auf jeder Seite stimmig, die Handlungsweisen und Entwicklungen der Figuren sind glaubhaft und nachvollziehbar. Der poetische und doch so stürmische Roman sei Jugendlichen ab 14 Jahren wärmstens empfohlen.
Christoph Scheuring: Sturm. Magellan 2020. ISBN: 978-3-7348-5028-8
Rezension: Maria Riss