Buch des Monats Juli 2024
Iben Akerlie: Der Sommer, in dem einfach alles passiert ist
Nora ist stinksauer auf ihre Mutter. Die hat ihr nämlich gerade eröffnet, dass sie den ganzen Sommer bei ihrer Oma verbringen muss. Bei Oma, die Nora gar nicht richtig kennt, die ihren Geburtstag vergisst, nicht zu Weihnachten kommt und die irgendwo im Nirgendwo lebt, wo überhaupt nichts los ist. Du musst – hat Noras Mutter gesagt und somit war da nichts zu machen. Noras Oma ist eine eigenartige Frau. Sie hat früher als Journalistin gearbeitet, ist überall auf der Welt herumgekommen und hat über Kriege berichtet. Und nun verbringt Nora also den Sommer bei ihr – Nora schmollt und spricht kein unnötiges Wort, zum Glück lässt Oma sie so ziemlich in Ruhe. Als Nora in den ersten Tagen alleine in den Wald spaziert, entdeckt sie dort eine wunderbare Lichtung mit einer Wiese voll blühender Blumen, in die sich Nora fallen lässt. Plötzlich steht ein Junge auf der Wiese und starrt Nora an. Nora springt auf, will etwas sagen, traut sich aber nicht und rennt nach Hause. Beim Einkauf am nächsten Tag treffen Oma und Nora auf Sayed und dessen Sohn Abbas – den Jungen von der Lichtung. Die beiden Erwachsenen fädeln ein, dass sich die zwei Jugendlichen am nächsten Tag treffen. Nora und Abbas verstehen sich so gut, dass sie sich von nun an jeden Tag sehen. Sie verbringen ihre Tage auf der Wiese und im Wald. Dort entdecken sie eine Jagdhütte und machen diese, mit leichtem Kribbeln im Bauch, da es ja nicht ihre Hütte ist, zu ihrem zweiten Zuhause. Die Tage vergehen und Nora merkt immer deutlicher, dass sie gerne in Abbas Nähe ist, dass sie seine Nähe geradezu elektrisiert. Eines Tages werden die beiden beim Baden im See von einem Gewitter überrascht und sie flüchten sich in die trockene Hütte. Dort schlafen sie erschöpft ein und werden bald unsanft von der Jagdhüttenbesitzerin geweckt. Es ist Dorrit, die Betreiberin des Cafés im nahegelegenen Ort. Dorrit beschimpft Abbas aufs Übelste mit rassistischen Äusserungen und Nora steht einfach nur dabei und kann den Mund nicht auftun. Verstört flüchten Abbas und Nora nach Hause, wo Nora ihrer Oma alles erzählt. Das schlimmste für Nora ist aber, dass sich Abbas nach diesem Vorfall nicht mehr bei ihr meldet. So beschliesst sie, Abbas aufzusuchen und ihm etwas zu erzählen, von dem sie glaubt, dass er es wissen sollte: Es gibt ein schreckliches Geheimnis, das mit Noras Oma, Abbas toter Mutter und Afghanistan zu tun hat. Doch damit macht sie alles nur noch viel schlimmer. Sie glaubt, Abbas nun für immer verloren zu haben. Erst, als sich die Erwachsenen einschalten und sich Noras und Abbas Familien gemeinsam gegen Dorrit zur Wehr setzen, Nora den Mut findet, das Richtige zu tun und endlich über die Umstände des Todes von Abbas Mutter geredet wird, stürzt die Mauer der Distanz zwischen Abbas und Nora wieder ein.
Nora erzählt die Geschichte dieses speziellen Sommers, in dem so vieles passiert, gleich selbst. Sie beschreibt sich als Zwischenmensch – sie ist kein Kind mehr, aber auch noch nicht erwachsen, sondern irgendwie dazwischen. Und genau dieses Zwischenmensch-Sein verpackt die Autorin, Iben Akerlie, so fantastisch in ihre Geschichte. Nora erlebt ihre erste Liebe, gleichzeitig wird sie aber auch mit Rassismus und Krieg konfrontiert und wird sich ihrer privilegierten Lage als weisse Norwegerin ein erstes Mal bewusst. Sie beschreibt ihre Erlebnisse und die Gefühle, die diese auslösen, äusserst treffend in einer bildhaften Sprache. Dies bewirkt, dass man als Lesende unweigerlich von der spannenden Geschichte mitgerissen wird, so dass man das Buch kaum mehr weglegen möchte. Empfohlen für alle, die ein wunderbar geschriebenes, spannendes und sensibles Coming of Age Buch lesen möchten. Zum Vorlesen ab 9Jahren, zum Selberlesen ab 11 Jahren.
Iben Akerlie: Der Sommer, in dem einfach alles passiert ist. Oetinger 2024. ISBN: 978-3-7512-0417-0
Rezension Sara Grunauer