J.M.M. Nuanez: Birdie und ich
Seit Mama gestorben ist, leben die etwa 12-jährige Jack und ihr jüngerer Bruder Birdie bei ihren Onkeln. Zuerst bei Onkel Carl. Carl ist ein Lebenskünstler, der beide Kinder lieb hat, der aber von der Hand in den Mund lebt und sich davor scheut, irgendwelche Verantwortung zu übernehmen. Die Kinder gehen immer seltener zur Schule und werden mit Süssigkeiten und Fertigmahlzeiten verköstigt. Das geht auf die Dauer nicht, die Schule reklamiert und die Kinder werden umplatziert. Neu wohnen sie nun bei Onkel Patrick. Patrick ist das pure Gegenteil seines Bruders. Er ist verschlossen, überaus ordentlich, pflichtbewusst und duldet in seinen vier grauen Wänden keine Farbtupfer. Er redet kaum und weiss nicht, wie er mit Kindern umgehen soll, gibt sich aber redlich Mühe. Der kleine Birdie liebt ausgefallene Kleider, viel Glitzer und bunte Sachen. Deswegen wird er in der Schule schikaniert und gemobbt. Onkel Patrick kauft deshalb für Birdie dunkle, unauffällige Kleidung und ist überzeugt davon, dass damit das Problem gelöst sei. Birdie hat seither ständig diesen wässrigen, tieftraurigen Blick. Auch für Jack ist das Leben sehr schwierig und kompliziert geworden. Da ist diese immens grosse Sehnsucht nach ihrer verstorbenen Mama, die neue Umgebung, wo sie niemanden gut kennt und die ständige Sorge um ihren kleinen Bruder. Jack ist diejenige, die vermitteln muss, die ihren Bruder beschützen und etwas von der Lebensfreude und Ungebundenheit ihrer Mutter in ihr Leben retten will. Das alles ist eigentlich viel zu viel für ein zwölfjähriges Mädchen. Sie fühlt sich als einsame Insel mitten im Meer, bis ihr ein Mädchen aus der Schule gesteht, dass auch sie auf einer einsamen Insel sitze, aber dass man sich ja zu einem Archipel zusammenschliessen könnte. Ganz langsam wendet sich das Leben der beiden Kinder zum Besseren. Onkel Patrick taut etwas auf, beginnt von früher zu erzählen und hält für Jack und Birdie eine Überraschung bereit, die beiden vor lauter Freude und Rührung erstmal die Sprache verschlägt. Lebensumstände können sich verändern. Menschen können dies auch. Jack und Birdie gelingt es mit ganz viel Mut und Kraft, nicht nur für sich, sondern auch für ihren Onkel, das Leben wieder bunter und lebendiger zu gestalten.
Einfühlsam und glaubhaft zeichnet J.M.M. Nuanez nicht nur ihre Figuren, sondern auch deren Lebensumstände und Entwicklung. Jack erzählt diese Geschichte selber, sie liebt Gedichte und schiebt zwischen den einzelnen Kapiteln auch immer wieder ganz persönliche Gedanken ein, die sie in kurze Gedichte kleidet: Birdie läuft in diesen farblosen Klamotten herum wie eine Regenwolke.. «Birdie und Jack» ist das erste Kinderbuch der Autorin, ihr ist damit ein berührendes und absolut bemerkenswertes Buch geglückt, dem man viele Lesende wünscht. Für Kinder ab etwa 12 Jahren genauso wie für Erwachsene.
J.M.M. Nuanez: Birdie und ich. Aus dem Englischen von Birgitt Kollmann. dtv, Reihe Hanser 2022. ISBN: 978-3-423-64095-4
Rezension: Maria Riss