Kiran Millwood Hargrave/Tom de Freston: Julia und der Hai
Julia, 11 Jahre alt, verbringt diesen Sommer zusammen mit ihren Eltern in einem Leuchtturm auf den Shetlandinseln. Die einsame Insel trifft nicht ganz ihren Geschmack, aber Julia ist ein offenes kontaktfreudiges Mädchen, deshalb freundet sie sich schon bald mit Kim, einem Jungen von der Insel, an. Kim interessiert sich für Sterne, er hat ein Teleskop und bringt Julia nachts zum Staunen: Dieser Sternenhimmel hier ist so riesengross!
Julias Vater ist Ingenieur und soll für den Leuchtturm eine elektronische Steuerung entwickeln. Ihre Mutter ist Meeresbiologien und hat für die Erforschung des Grönlandhais Gelder bekommen. Julias Mama ist geradezu besessen von ihrer Forschung. Sie nimmt Julia kaum noch wahr und ist ständig draussen auf dem Meer. Als die Forschungsgelder sistiert werden, kauft Julias Mama ohne Rücksprache mit ihrem Mann ein altes Boot und eine extrem teure Kamera. Die Stimmung ist deshalb gereizt und schlecht im engen Leuchtturm, die Eltern reden kaum noch miteinander. Mama macht einfach nur noch das, was sie will, ohne Rücksicht auf ihre Familie. Von einem Tag auf den andern verkehrt sich die Situation ins Gegenteil: Mama liegt nur noch im Bett und kann sich zu rein gar nichts mehr aufraffen. Julia ist nicht nur völlig überfordert, sie macht sich grosse Sorgen und fühlt sich schuldig. Deshalb kapert sie Mamas altes Boot und fährt hinaus aufs Meer. Sie will den Hai für Mama finden, sie will Mama stolz und damit wieder gesund machen. Julia begibt sich damit aber in grosse Gefahr und muss schliesslich aus Seenot gerettet werden. Es ist gut, dass sie einen so liebevollen Papa hat, der Julia in seine starken Arme schliesst und ihr endlich erklärt, was mit Mama los ist. Mama ist krank, sie ist nun in einer Klinik, dort wird sie Hilfe erhalten und hoffentlich wieder ganz gesund werden.
Für das Buch «Julia und der Hai» haben sich eine Autorin und ein Illustrator zusammengetan, um gemeinsam ein kleines Kunstwerk zu schaffen. Der eindringliche, poetische Text und die kunstvolle Gestaltung ergänzen sich auf ganz besonders eindrückliche Weise. Julia erzählt die Geschichte dieses Sommers selbst und lässt Lesende unmittelbar teilhaben an ihrem Gefühlsdurcheinander, ihren Ängsten, ihrer Verwirrtheit, ihrem starken Willen, etwas für Mama zu tun. Sie beschreibt glaubhaft und sehr genau, wie Mama sich benimmt: Ihre Euphorie, ihr unablässiges Tun und Herumschwirren zu Beginn der Geschichte, ihre Niedergeschlagenheit, ihre schlimme Depression gegen Ende. In den zahlreichen ästhetischen und symbolträchtigen Bildern gibt der Illustrator Tom de Fresten die unterschiedlichen Gefühlslagen sehr genau wieder: Mit vorherrschenden Grautönen und in bewusst gesetzten gelben Farbtupfern an jenen Stellen, wo es heller und hoffnungsvoller wird. «Julia und der Hai» eignet sich besonders gut zum Vorlesen. Hier ist es gut, wenn Erwachsene die Lektüre mitgeniessen und so Gespräche möglich werden. Für Lesende ab etwa 12 Jahren.
Kiran Millwood Hargrave/Tom de Freston: Julia und der Hai. Aus dem Englischen von Alexandra Erbst. Loewe 2023. ISBN: 978-3-7432-1377-7
Rezension: Maria Riss