Martin Schäuble: Warum du schweigst

Lena ist fünfzehn und spielt leidenschaftlich gern Fussball. Ihr Team soll einen neuen, erfahrenen und erfolgreichen Trainer bekommen. Lena freut sich sehr, sie weiss zwar, dass es mit fünfzehn zu spät für den grossen Durchbruch im Fussball ist, aber ehrgeizig ist sie schon und auf ein professionelles Training freut sie sich trotzdem riesig. Die Trainings beim Neuen, Charly, sind ganz anders: Es wird weniger gelabert, mehr Technik trainiert und Charly lobt die Spielerinnen, wenn sie sich anstrengen – er schickt ihnen sogar kurze Textnachrichten wie: „Du warst mega heute, meine Hübsche.“ Neben dem neuen Trainer tritt ein zweiter Mann in Lenas Leben, Tim. Er geht auf die gleiche Schule, hat mit Fussball aber gar nichts am Hut, sondern spielt Schlagzeug in einer Band. Die beiden verlieben sich und Tim kommt sogar an Lenas Match, um das Team lautstark mit seiner Trommel zu unterstützen. Als das Team besagten Match gewinnt, lädt Trainer Charly die Spielerinnen zum Pizzaessen ein. Im Restaurant schäkert er mit allen Spielerinnen, Lena fasst er an den Händen und streichelt sie. Lena mag das gar nicht, aber so ist Charly offenbar nun mal, denkt sie, er sucht Körperkontakt. Auch in den Trainings fasst er die Spielerinnen dauernd an. Lena versucht die unguten Gefühle zu verdrängen, ist ja alles nicht so schlimm. Es bleibt aber nicht bei diesen kleineren Vorfällen: Einmal platzt Charly in die Garderobe, als sich die Mädchen umziehen und im Trainingslager zeigt er ihnen einen Porno auf seinem Handy. Für Lena wird diese Situation zunehmend unangenehm, verstörend sogar. Aber wehren oder jemandem von diesen Vorfällen erzählen, das traut sie sich nicht. Auch im Team schweigen die Mädchen, keine spricht über Charlys Verhalten. Lena ist derart verunsichert, dass sie auch zu Tim Abstand sucht, es ist ihr alles zu viel. Und bald darauf passiert es. Charly taucht unverhofft bei Lena zuhause auf, als sie allein ist. Sie erstarrt und kann sich nicht wehren, als dieser sie vergewaltigt. Zum Glück ist dies nicht der Schluss des Romans. Im weiteren, kurz erzählten Verlauf der Geschichte kommen Charlys Machenschaften ans Licht, denn Lena war nicht sein erstes Opfer. Lena holt sich Hilfe und kann am Ende der Geschichte über alles reden und beginnen, das Unfassbare zu verarbeiten.
Martin Schäuble hat einen Roman geschrieben, der unter die Haut geht. Die Geschichte, die auf wahren Berichten von sexuellen Übergriffen bei Sportlerinnen und Sportlern beruht, wird abwechslungsweise aus der Sicht von Lena und Tim erzählt. Gleich beim Lesen des ersten Kapitels, das aus Lenas Perspektive geschrieben ist, ahnt man, dass Lena etwas Traumatisches widerfahren sein muss. In den folgenden Kapiteln wird aufgerollt, wie es dazu kam. Lena und Tim lassen bei ihren Erzählungen die Lesenden sehr direkt an ihrer Gefühls- und Gedankenwelt teilhaben. Diese Unmittelbarkeit wird beim Lesen stellenweise fast unerträglich, weil man beispielsweise bei Lenas Vergewaltigung ganz nah dabei ist, obwohl – oder gerade weil – das Geschehen nur zwischen den Zeilen beschrieben wird. Gleichzeitig erleben Lesende die perfiden Handlungsmuster solcher Täter und die ungesunden Verdrängungs- und Verharmlosungsmuster von Opfern hautnah mit. Deshalb ist dieses Buch ein sehr wichtiges Buch. Es ist aber auch ein Buch, über das man unbedingt mit Jugendlichen sprechen muss, sie sollten damit nicht allein gelassen werden. Empfohlen für Lesende ab ca. 14 Jahren.
Martin Schäuble: Warum du schweigst. Fischer Sauerländer 2024. ISBN: 978-3-7373-4361-9
Rezension: Sara Grunauer