Michael Ende / Wieland Freund: Rodrigo Raubein und Knirps, sein Knappe
Knirps rumpelt Tag für Tag im Puppenspieler-Wagen seiner Eltern, gezogen von den drei Eseln Dolly, Willy und Ully, über das Land. «Papa Dicks Puppentheater» hat seine besten Zeiten hinter sich und nicht nur Knirps, sondern auch die Zuschauerinnen und Zuschauer finden die Vorstellungen nur langweilig. Knirps wünscht sich nichts mehr, als dieser verstaubten Welt zu entfliehen und echte Abenteuer zu erleben, auch wenn er von diesen nur ungenaue Vorstellungen hat. Bei der nächstbesten Gelegenheit, einem heftigen Unwetter bei Nacht, reisst Knirps aus und macht sich durch den Bangewald auf zur Schauderburg, um Knappe des gefürchteten Raubritters Rodrigo Raubein zu werden – mit ihm würde er ja sicherlich viele Abenteuer erleben. Michael Ende stellt an dieser Stelle für die Lesenden klar, dass Knirps Furchtlosigkeit nicht mit Mut verwechselt werden dürfe: «Denn mutig ist einer, der Angst hat und seine Angst überwindet. Knirps wusste überhaupt nicht, was Angst ist, und deswegen brauchte er auch nichts zu überwinden.» Mit dieser Unerschrockenheit, seiner Unbedarftheit und seinem Dickkopf gelingt es Knirps auch tatsächlich, bis zu Rodrigo Raubein vorzudringen und von ihm zur Knappenprüfung losgeschickt zu werden. Doch Rodrigo Raubein ist nicht der Bösewicht, für den Knirps ihn hält und so kommt alles ganz anders, als gedacht. An dieser Stelle sei nur so viel verraten: Die überaus kluge Prinzessin Flip, der weise Papagei Sokrates, Medicus Padrubel und eben auch Rodrigo Raubein werden an Knirps’ Seite sein, wenn er die Angst schliesslich kennenlernt. Gemeinsam mit ihm bestehen sie sein Abenteuer im Kampf gegen einen mächtigen Zauberer und seinen kohlpechrabenschwarzen Drachen.
Die Geschichte von Knirps und Rodrigo Raubein, vor mehr als zwei Jahrzehnten von Michael Ende begonnen und als Fragment von drei Kapiteln nach seinem Tod hinterlassen, wurde nun von Wieland Freund vollendet. Das Ergebnis: Ein unterhaltsamer, inhaltlich und sprachlich anspruchsvoller Kinderroman mit einer besonderen Hauptfigur. Denn Knirps ist in seiner Unerschrockenheit und Furchtlosigkeit kein typisches «Ende-Kind», das unter der schweren Last der Welt zu zerbrechen droht und sich erst im Lauf der Geschichte als der zugeteilten Aufgabe gewachsen herausstellt. Vielmehr muss Knirps die Angst erst einmal kennenlernen und sie als «besonderes Gefühl» erfahren, das zwar lähmen, aber eben auch beflügeln kann und schliesslich dazu führt, dass er sein Abenteuer würdig meistern kann. Die in sorgfältiger, doch auch komplexer Sprache ausgestalteten Beschreibungen der Figuren und Handlungsorte laden auch erwachsene Vorleserinnen und Vorleser zum Geniessen dieses Abenteuers ein. Die in sich einen Schluss findenden 16 Kapitel sowie die ganzseitigen, immer wieder den roten Faden aufnehmenden Bilder von Regina Kehn helfen den jüngeren Zuhörerinnen und Zuhörern beim Verstehen dieser Geschichte. Ein Vorlesevergnügen für Ende-Fans und alle, die es noch werden wollen, ab 6 Jahren, zum Selberlesen für Kinder ab 8 Jahren.
Michael Ende / Wieland Freund: Rodrigo Raubein und Knirps, sein Knappe. Mit Bildern von Regina Kehn. Thienemann 2019. ISBN: 978-3-522-18500-4
Rezension: Franziska Weber