Nachdenken über meine Sprache. Verständnissicherung und Wortschatzerweiterung

Wenn Kinder Verständnishindernisse und eigene Verstehensgrenzen erkennen und darauf reagieren, steuern sie nicht nur das Gelingen ihrer Kommunikation, sondern auch ihr Lernen.

von Simone Kannengieser

Ziel der hier skizzierten unterrichtlichen Interventionen ist es, dass Kinder ihre eigene Sprachverarbeitung unmittelbar im kommunikativen Geschehen reflektieren und sich zu Sprachlernanlässen verhelfen können, indem sie z.B. äussern:

«Dieses Wort kenne ich nicht.»
«Sag es bitte noch einmal, langsamer.»
«Gibt es ein anderes Wort dafür?»

Wortschatz und Sprachverstehen sind zentrale und basale Bereiche von Kommunikation. Zugleich sind es Bereiche, an denen nicht nur Kinder mit Sprachstörungen, sondern auch Kinder mit Deutsch als Zweitsprache oder Kinder mit Aufmerksamkeits-, Wahrnehmungsstörungen oder Lernbeeinträchtigungen scheitern. Die folgenden vier Lernziele sind für heterogene Lerngruppen geeignet.

  • Auditive Aufmerksamkeit auf Sprache
  • Arbeit am Wortschatz
  • Kontrolle des Sprachverstehens
  • Aktive Verständnissicherung

Dabei können auch Kinder mit guten Sprachverarbeitungsmöglichkeiten profitieren, indem sie sich im Erklären von Wörtern üben und zur metakognitiven Auseinandersetzung angeregt werden. Überdies lernen sie, wie sie konstruktiv zur Überwindung von Verständnishindernissen beitragen können: eine besondere kommunikative Kompetenz.

1. Auditive Aufmerksamkeit auf Sprache verbessern
Übungsmethoden für die Herstellung und Aufrechterhaltung von auditiver Aufmerksamkeit sind im Rahmen von Sprachförderprogrammen v.a. für Kindergarten und Unterstufe vielfach publiziert worden: Lauschspiele, Lautdifferenzierungsübungen, Signalworthören u.a. Vorlesen hat dabei einen wichtigen Stellenwert; das Zuhörverhalten beim Vorlesen wird unterstützt durch das bedürfnisorientierte  Haltung zu begeben (Kopf auf den Tisch legen, Augen schliessen, bewusst atmen).
«Stoppgeschichten» verdeckt die Pausentaste betätigen dürfen, woraufhin ein anderes Kind das zuletzt gehörte Wort, den letzten Satz wiederholt.
«Phantasiereisen», in denen die direkte Anrede mit «du» die Kinder zu den Hauptakteuren macht, und in denen sensorisches Erleben tragendes Element ist (vgl. Mills 2007).

2. Fragenden Umgang mit Wörtern erlernen
Für die Sprachtherapie bei lexikalischen Speicher- und Abrufstörungen hat Christian Glück einen Ansatz entwickelt, aus dem sich wertvolle Anregungen für die Wortschatzarbeit ziehen lassen (vgl. Glück 2003a, 2003b). Zentral dabei ist der Prozess der «Elaboration», d. h. der Erarbeitung von Wörtern bzw. deren Bedeutungen. Für die «Elaboration» stellen sich Lehrperson und Kinder Fragen wie z.B. «Woran erinnert es dich? Hast Du damit schon etwas erlebt?», «Was ist auch noch so etwas?», «Kennst Du ein Besonderes davon?», «Was macht es? Was kann man damit tun?», «Wo gibt es das?», «Wie kann man noch dazu sagen?» Die Elaboration dient der Anreicherung von Wissen über Wörter und ihrer Vernetzung und damit der besseren Speicherqualität.

Im Unterricht werden z. B. in einem ersten Schritt unbekannte Wörter aus einer Geschichte gesammelt. Für die Klärung der einzelnen Wortbedeutungen stehen der Lehrperson Möglichkeiten der Strukturierung des Gesprächs zur Verfügung:

Wortverwandtschaft: Die Lehrperson kann auf semantisch verwandte Wörter verweisen, z. B. verweist sie bei der Klärung von «glitzern» auf «glänzen».

Wortbildung: Die Lehrperson zeigt, welchesWort «in dem Wort steckt», z. B. «steckt» in «sich erheben» das bekannte Wort «heben», oder in «Röhre» «Rohr».

Wörterbuchbenutzung: Die Kinder schlagen in Wörterbüchern nach oder die Lehrperson liest Wörterbucheinträge vor.

Paraphrasen: Die Kinder erzählen von der Wortbedeutung, falls sie das Wort schon einmal gehört haben.

Beispielhafter Kontext: Die Lehrperson regt die Kinder an, Beispieläusserungen mit den Wörtern zu bilden oder sie demonstriert selbst mögliche Verwendungen.

Der elaborierende Umgang mit Wörtern kann auch zwei wichtige kognitive Prozesse unterstützen:

  • das Dekontextualisieren: Eine Wortbedeutung wird von den Kontexten, in denen sie gelernt worden ist, unabhängig und ihre Verwendung damit flexibler.
  • das Ordnen des mentalen Lexikons: Es werden Beziehungen zwischen Wörtern deutlich, und neu zu erlernende Wörter werden in bestehende Strukturen eingefügt (vgl. z.B. Aitchison 1997).

Bevor Kinder Mittel kennen lernen, um Wortinhalte zu entschlüsseln, müssen sie auf ihnen unbekannte Wörter aufmerksam werden und sie in Frage stellen. Es kann sinnvoll sein, hierzu vorab das Sortieren von Wörtern nach «bekannt» und «unbekannt» oder das Finden «neuer Wörter» in Texten, Hörspielen, Filmen zu üben.

3. Sprachverstehen kontrollieren
Was es bedeutet, etwas zu verstehen, ist nicht für alle Kinder selbstverständlich. Viel Unverstandenes bleibt deshalb unentdeckt. Fördersituationen für den Aufbau einer sog. «Sprachverstehenskontrolle», des sog. «Monitorings» sind aus diesem Grund besonders wichtig. Solche Situationen können folgende Demonstrationen bzw. Auseinandersetzungen mit folgenden Themen beinhalten:

  • Erleben von Verständnishindernissen
  • Demonstrationen von Nichtverstehenssituationen
  • Auseinandersetzung mit minimalen sprachlichen Differenzen (z. B. zwischen schütteln und schütten)
  • Erleben nonverbaler Verständnishilfen wie Bilder, Gesten usw.
  • Beurteilen sprachlicher Äusserungen als «leicht zu verstehen», «schwierig zu verstehen»

4. Aktiv Verständnissicherung betreiben
Die Verstehensstrategie der aktiven Verständnissicherung kann im Unterricht über drei methodische Zugänge erarbeitet werden:

Demonstration modellartiger Metakommunikation: Die Lehrperson integriert aktive Verständnissicherung durch modellartige Metakommunikation in den Alltag. Beispielsweise fasst sie nach einem verbalen Beitrag eines Kindes explizit zusammen, was sie verstanden hat. Versteht sie ein Kind nicht genau, erfragt sie gezielt die fehlenden Informationen. Andererseits trifft die Lehrperson immer wieder Absprachen mit den Kindern, dass Rückmeldungen über Verständnishindernisse gegeben werden. Verständnishindernisse können unbekannte Wörter, Störlärm, zu lange Sätze usw. sein. Als Unterstützung kann ein bestimmtes Signal für Nichtverstehen, beispielsweise ein Piktogramm mit einer «Denkblase» mit Fragezeichen, vereinbart werden, das die Kinder als laminierte Karte zur Verfügung haben.

Verständnis sicherndes Verhalten einüben: Verständnis sicherndes Verhalten wird geübt, z.B. durch Ratespiele, in denen gezielte Fragen notwendig sind. Beispielsweise werden Tiere erraten, indem Fragen zum Aussehen, zum Lebensraum usw. gestellt werden, oder zu Berufen werden eingrenzende Fragen nach Funktionen, Arbeitswerkzeugen usw. gestellt.

Reflexion (nicht-)gelingender Verständigung: Möglichkeiten der Verständnissicherung werden in Szenen demonstriert und mit den Kindern besprochen. Hilfreich ist das Kontrastieren von nicht gelingender und gelingender Kommunikation. Mit Puppenfiguren können einfache Dialoge inszeniert werden, in denen eine Puppe Informationen falsch versteht und z.B. gerade das Gegenteil von dem tut, wozu sie aufgefordert wurde. Mit den Kindern kann reflektiert werden, woran das Missverständnis gelegen haben könnte (unbekannte Wörter, zu leise gesprochen, zu langer Satz usw.). Weiterhin wird gemeinsam nach Möglichkeiten gesucht, wie die Puppe hätte nachfragen können.

 

Literatur

  • Aitchison, J. (1997): Wörter im Kopf. Eine Einführung in das mentale Lexikon. Tübingen: Niemeyer.
  • Glück, Ch. W. (2003a): Semantisch-lexikalische Störungen bei Kindern und Jugendlichen, in: Grohnfeldt, M. (Hg.): Lehrbuch der Sprachheilpädagogik und Logopädie, Bd. 4: Beratung, Therapie und Rehabilitation. Stuttgart u.a.: Kohlhammer.
  • Glück, Ch. W. (2003b): Semantisch-lexikalische Störungen bei Kindern und Jugendlichen. Therapieformen und ihre Wirksamkeit. In: Sprache, Stimme, Gehör; Jg. 27, H. 3, 125-134.
  • Mills,T.(2007): Mit Kopfkino-Geschichten Hörverständnis üben. Vorlesegeschichten und Arbeitsblätter. Klasse 1/2 . Mühlheim an der Ruhr: Verlag an der Ruhr.
  • Reiber, K. / Schönauer-Schneider, W. (2009): Bausteine sprachheilpädagogischen Unterrichts. München: Reinhardt.
  • Schmitz, P./ Diem, A. (2007): Sprachverstehenskontrolle – Ein wichtiger Ansatzpunkt in der Therapie von Sprachverstehensstörungen. In: Forum Logopädie; Jg. 21, H. 5, 32-39.

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