Was ist ein guterText? – Mit Schülerinnen und Schülern über Textqualitäten sprechen
Dieser Beitrag soll Anregungen dazu geben, wie das Wissen um Textqualitäten von Schülertexten im Unterricht aufgebaut werden kann. Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit das Sprechen über Qualitätsmerkmale von Schülertexten in kooperativen Situationen gelingt?
von Julienne Furger und Claudia Hefti
Das Wissen um Qualitätsmerkmale von Texten ist für den Schreibkompetenzaufbau insgesamt wichtig: Nur wer weiss, was einen guten Text zu einem guten Text macht, kann erfolgreich Texte verfassen. Auch der Lehrplan 21 zählt die Fähigkeit, die Qualität von eigenen und fremden Schreibprodukten in kooperativen Lernformen und mithilfe von festgelegten Kriterien und Leitfragen einzuschätzen, zum Kompetenzbereich Schreiben.
Was ist ein guterText?
Zwei Kinder einer 5. Klasse haben auf die offene Frage, wie sie den Textentwurf eines Schülers einschätzen, Folgendes geantwortet:
- Also, ich finde es eigentlich eine sehr spannende Geschichte. Es hat nicht immer dieselben Wörtchen, zum Beispiel «dann». Und der oder die, die das geschrieben hat, hat auch ein bisschen aussergewöhnliche Wörter genommen , die nicht immer vorkommen, das macht manchmal die Geschichte auch spannender.
- Eigentlich ist die Geschichte noch gut geschrieben. (…) Es ist so wie ein Aufbau, es geht so rauf und dann wieder runter. In der Mitte ist es spannender geworden und dann ist es wieder runter gegangen gegen Ende.
Diese Antworten zeigen, dass viele Lernende Textqualitäten wahrnehmen und über implizites Textwissen verfügen. Entsprechend ihren individuellen Lese – und Schreiberfahrungen können sie ihre Urteile über Textqualitäten mehr oder weniger genau ausdrücken. Doch wie kann dieses (häufig noch unbewusste) Wissen über Spannungsaufbau, treffende Wortwahl und Textgliederung im Unterricht differenziert und ausgebaut werden? Wie können die Lernenden beim Formulieren ihrer Einschätzungen unterstützt werden?
Hinweise für den Unterricht
1. Textkriterien gemeinsam erarbeiten
Ein erfolgreiches Sprechen über Textqualitäten setzt voraus, dass SchülerInnen Kriterien kennen, mit denen sie ihre Texte einschätzen können. Nachhaltig nutzbar und sinnvoll sind solche Kriterien vor allem dann, wenn sie mit den Schülerinnen gemeinsam erarbeitet werden. Je nach Textsorte gilt es, andere Kriterien zu fokussieren. Als Orientierungsrahmen können bestehende Beurteilungsraster – wie beispielsweise aus dem Lehrmittel «Die Sprachstarken» – dienen, die situationsspezifisch angepasst werden. Eine Methode, mit der Textkriterien gemeinsam erarbeitet und Textqualitäten kriteriengeleitet eingeschätzt werden, zeigt Beate Lessmann (2011) mit der «Text-Hand–Methode »: Als Einstieg in die gemeinsame Erarbeitung von Textkriterien wird mit der Frage «Was macht den Text besonders?» die Wirkung des Texte thematisiert. Beim anschliessenden Gespräch über Texte hilft die «Text-Hand», Textqualitäten kriteriengeleitet einzuschätzen: Jeder Finger einer Hand steht für ein vorher besprochenes Kriterium mit entsprechenden Leitfragen (AdressatIn, Textwirkung, Textsorte, Wörter, Sätze). Ein roter Faden (Kohärenz) umgarnt alle Finger und macht die Machart eines Textes als Gewebe deutlich. Die Hand dient zugleich als Erinnerungsstütze, Merkhilfe und Bezugsrahmen für gemeinsam erarbeitete Textkriterien.
Text–Hand (aus: Lessmann, 2011)
2. Gespräche strukturieren
In kooperativen Lernsituationen können SchülerInnen voneinander profitieren, indem sie ihre unterschiedlichen Sichtweisen auf einen Text diskutieren. Untersuchungen haben gezeigt, dass das Gelingen von kooperativen Lernarrangements u.a. auch vom Strukturierungsgrad der Gruppenarbeit abhängt (Anderer & Baark 2012). Dabei muss ein Mittelmass zwischen geleitetem und offenem Gespräch gefunden werden. Der kooperativen Auseinandersetzung geht sinnvollerweise ein individuelles Entdecken voraus. Dieses kann zum Beispiel anhand folgender Leitfragen strukturiert werden:
- Wie wirkt der Text auf dich?
- Was bewirkt er bei dir?
- Was macht den Text besonders?
Indem der Blick in dieser ersten Arbeitsphase auch auf gelungene Aspekte der Texte gelenkt wird und nicht nur auf Defizite, können die SchülerInnen für ihre eigenen Texte sprachliche Muster sammeln und ihr Repertoire an ästhetischen Textkriterien aus bauen.
Nach dieser Einzelphase geht es in die Gruppenarbeit. Die SchülerInnen sollen dabei ihre Gedanken und Meinungen zu den Texten möglichst frei äussern. Gleichzeitig hat die Erfahrung gezeigt, dass sich die Lehrperson entsprechend den Lernvoraussetzungen und der Gesprächspraxis der Klasse auch einbringen soll. Sie kann dies tun, indem sie hilft, unklare Textstellen zu übersetzen oder abschweifende Gespräche mit entsprechenden Fragen wieder zu fokussieren. Hierbei dienen die erarbeiteten Kriterienlisten als Orientierung. Ziel dieser Gruppenarbeit ist es, die Resultate dieser Arbeit schriftlich festzuhalten, beispielsweise in einer Mustersammlung oder in Form von Schreibrezepten, wie beispielsweise: Bei einer guten Geschichte kann ich die Augen schliessen und dann sehen, wie es dort ist.
3. Regelmässig über Texte sprechen
Die Qualität von Gesprächen über Texte hängt grösstenteils auch davon ab, ob kooperative Settings regelmässig durchgeführt und damit automatisiert werden. Routinierte Gesprächsrunden ermöglichen eine fokussierte Beschäftigung mit Texten. Geeignet dazu sind beispielsweise Schreibkonferenzen, Autoren- oder Lektorenrunden, die einmal in der Woche zu einem festgelegten Zeitpunkt stattfinden und damit fest im Stundenplan verankert sind. Dabei sollen SchülerInnen immer wieder Gelegenheit bekommen, vor allem über Texte ihrer Mitschülerinnen zu sprechen. Es ist einfacher über Textqualitäten fremder Texte zu sprechen als über eigene Texte, da die emotionale Nähe zum eigenen Text den Blick auf die Qualitäten des Textes versperren kann.
Fazit
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Sprechen über Textqualitäten in Gruppen im Unterricht gewinnbringend eingesetzt werden kann, wenn es kriteriengeleitet, strukturiert und regelmässig geschieht. Die Aufgabe der Lehrperson ist eine doppelte: Einerseits kann und soll sie den Kindern mit ihrem Textwissen Vorbild sein und das Gespräch über Textqualitäten an leiten, andererseits ist es wichtig, dass sie den SchülerInnen regelmässig Zeit und Raum gibt, ihre eigenen Beobachtungen zu machen und so ihr implizites Wissen über Textqualitäten weiterzuentwickeln.
Literatur
Anderer, Catrin und Baark, Claudia (2012): Herausforderung Lektorenrunde: Was Schüler zu Schülertexten sagen. In: Hüttis–Graff, Petra und Jantzen, Christoph (Hg.): Überarbeiten lernen – Überarbeiten als Lernen. Stuttgart: Klett, S. 81-109.
Die Sprachstarken (2009): Deutsch für die Primarschule 2.-6. Klasse. Sprachbuch, Arbeitsheft, CD–Rom. Zug: Klett und Balmer.
Lessmann, Beate (2011): Vom roten Faden zum Textgewebe. Mit der «Text–Hand» eigene Texte bedenken, überarbeiten und planen lernen. In: Grundschulunterricht Deutsch 3, S. 24-29.