Mit Kamera, Maus und Farbtopf auf Entdeckungsreise
Im Alltag von Kindern spielen die Medien und ihre Angebote eine selbstverständliche Rolle. In der Regel kennen Kinder die Medien vor allem als Rezeptionsmittel. Sie schauen, hören, spielen Angebote der professionellen Medienindustrie. Um diese zu verarbeiten, brauchen sie Gelegenheiten, ihre Medienerlebnisse einzubringen und zu reflektieren.
Medienpädagogische Projektideen zur Identitätsarbeit mit Kindern
von Prof. Friederike Tilemann, PH Zürich
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Die für Kinder so wichtige weitere Form der Mediennutzung ist in den Familien eher selten vertreten: das eigenständige, kreative Gestalten von Medienprodukten. So ist es auch Aufgabe des Kindergartens und der Unterstufe, Kindern zu ermöglichen, die Medien als Werkzeuge – und nicht nur als Rezeptionsmittel – entdecken zu können, mithilfe derer sie sich mit ihren Themen und Fragen auseinandersetzen können. Wenn Kinder die Chance bekommen, kleine Medienprodukte selbst zu erstellen, können sie zunehmend lernen, die Medien und ihre Gestaltungsmittel zu entdecken und zu verstehen.
Medien durchschauen lernen
Kinder haben oft Schwierigkeiten, mediale Darstellungen als solche zu entschlüsseln. Da ihnen u.a. das Erkennen von Einstellungsgrössen noch nicht vertraut ist, erscheint manchen z.B. die Aufnahme einer Hausstaubmilbe wie ein echtes riesiges Monster, vor dem man sich fürchten kann, wenn man abends in das eigene Bett steigt. Medienpädagogische Projekte helfen Kindern, sich in der komplexen Medienwelt besser zu orientieren und eine altersgemässe Medienkompetenz aufzubauen. So ist für Kinder das Erproben und Durchschauen der Film- und Bildsprache eine hilfreiche Fähigkeit, die sie unterstützt, die Medieninhalte als konstruierte Darstellungen zu entlarven. Im Folgenden werden Ideen aufgeführt, die sich für die medienpädagogische Arbeit mit der Altersgruppe der Vier- bis Achtjährigen eignen. Im Zentrum steht die Auseinandersetzung mit sich und dem eigenen Bild. Gerade die Fotografie und das Videofilmen sind für diese Altersstufe besonders geeignet. Denn mit dem eigenen Bild/Film kann man problemlos das «Original» mit der «medialen Darstellung» vergleichen. Ein Kind kann beides nebeneinander betrachten und z.B. feststellen «Auf dem Foto wirke ich viel grösser als in ‹echt›!» oder «Wenn man unseren eigenen Film anguckt, sieht alles plötzlich ganz gruselig aus mit der Dunkelheit, der Taschenlampe und der Musik!». Zudem können auch junge Kinder die benötigten Medien leicht bedienen. Als pädagogische Chance der Projektarbeit werden die Medien sowohl zur Identitätsarbeit von Kindern als auch zur Förderung der kindlichen Medienkompetenz genutzt. So können Kinder mithilfe von Foto- und Videokamera
- unterschiedliche emotionale Gesichtsausdrücke erproben,
- sich mit Schminke und Verkleidungsmaterial verändern, sich gegenseitig fotografieren und gemeinsam ihre Wirkung erproben,
- sich mit Hilfe von Kameraperspektiven (z.B. Vogel- und Froschperspektive) und Einstellungsgrössen möglichst unterschiedlich wirkend fotografieren und die Fotos vergleichen,
- sich im selbst gewählten und ggf. auch arrangierten Umfeld fotografieren und anderen präsentieren («Was gehört zu mir? Was ist mir wichtig?»),
- Fotos von sich ausdrucken, ausschneiden und als «Bild» und «Skulptur» weitermalen, als Teil einer Collage verwenden oder dreidimensional gestalten,
- über eine längere Zeit (z.B. die Jahre im Kindergarten) eine Fotoreihe von sich erstellen, die sich erweitert und verändert und zu Betrachtung anregt,
- die Konstruiertheit von Medienaufnahmen an kleinen Tricks erproben (Stopptrick mit der Videokamera, einfache Trickfilme, Bildmanipulationen [z.B. mit Programmen wie «Photo Booth»] oder raffiniert arrangierte Ausschnitte [optische Phänomene mit der Kombination von Vor- und Hintergrund, z.B. steht die Kirche auf der Handfläche eines Kindes], Ketchup als Filmblut bei einer Märchenverfilmung),
- gemeinsam eine Ausstellung im Kindergarten mit den audio(-visuellen) Produkten der Kinder gestalten (z.B. «Ich und du» oder «Wie ich mir die Zukunft wünsche») und über die individuellen Wünsche von Kindern und Erwachsenen zum Gespräch einladen.
Medienbildung als pädagogische Chance
Bei der medienpädagogischen Projektarbeit sind regelmässige Reflexionsrunden mit den Kindern sinnvoll, in denen das Erlebte besprochen wird. Es dient zum einen dem tieferen Verständnis des Themas. Zum anderen können emotionale Aspekte und Konflikte im Gruppenprozess aufgearbeitet und somit soziale Lernprozesse angestossen werden. Die gemeinsame Reflexion hilft den Kindern, das Erlebte einzuordnen, eigene und fremde Befindlichkeiten wahrzunehmen und in ihrem Handeln zu berücksichtigen. Durch die distanzierte Betrachtung können wertvolle Erfahrungen gebildet werden.
Ein Hinweis zu der Arbeit mit Fotos und Filmaufnahmen: Jedes Kind entscheidet selbst, ob es fotografiert oder gefilmt werden möchte. Lehnt ein Kind ab, ist dies unbedingt zu respektieren. Pädagogisch sinnvoll ist es dann, ein Kind im Laufe des Projektes immer wieder einzuladen, seine Entscheidung zu verändern, wenn der Wunsch besteht. Ebenso bedeutsam ist, dass Kinder lernen, mit den Aufnahmen von anderen respektvoll umzugehen, also z. B. Bildmanipulationen nur mit dem eigenen Foto zu machen – ausser wenn das ausdrückliche Einverständnis des/der anderen besteht. Über die Veröffentlichung des eigenen Fotos entscheidet (neben den Eltern) ebenso das abgebildete Kind. Bei der Publikation von Fotos der Kinder im Internet ist Vorsicht geboten. Wenn überhaupt, so sollte lieber die kreative Tätigkeit der Kinder beschrieben oder gezeigt werden und nicht sie selbst als Personen erkennbar sein*.
Bereits in dieser Altersstufe können die Grundlagen für einen sensiblen, respektvollen Umgang mit den Wünschen und Emotionen anderer Menschen und ihren Fotos und Videoaufnahmen gelernt werden.
Kinder erzählen mithilfe der Medien eigene Geschichten von sich und ihrer Sicht auf die Welt, erproben neue Fähigkeiten und entdecken sich selbst und andere neu. Es gibt – begleitet durch eine kompetente und einfühlsame Lehrperson – vielseitige Lernchancen für die Kinder auf medienpädagogischer, individueller und sozialer Ebene. Begeben Sie sich mit den Kindern auf eine spannende Reise …
*Der Persönlichkeitsschutz und das Urheberrecht sind unbedingt zu beachten.
Weiterführende Empfehlungen
Eine Fülle von wertvollen Methoden
Sabine Eder; Christiane Orywal; Susanne Roboom (20102): Pixel, Zoom und Mikrofon. Medienbildung in der Kita. Ein medienpraktisches Handbuch für Erzieher/- innen.
Wirklichkeitsvorstellungen von Kindern und die Bedeutung der Medien mit Methodenhinweisen
Friederike Tilemann (2011): «Echt oder Spiel? – Medien durchschauen lernen.» In: Zeitschrift «4 bis 8» Januar/ Februar, Nr. 1/2 und als PDF zum Download unter: http://www.medienbildung.ch/webautor-data/23/echt- oder-spiel_4bis8_jan-feb_2011_tilemann.pdf
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