Kommunikation zwischen Mensch und Tier – Interview mit Susanne Grassmann
Die Zeigegeste ist für Kleinkinder sozusagen der Einstieg in die Kommunikation.
Ein Interview mit Susanne Grassmann über die kommunikativen Fähigkeiten von Hunden, Affen und Menschenkindern.
Interview: Julienne Furger
Foto: Sandra Brügger
Wie kommt man dazu, sich als Sprachwissenschaftlerin und Psychologin mit tierischer Kommunikation zu beschäftigen?
Das war bei mir eigentlich ein Zufallsereignis. Während meiner Zeit am Max-Planck-Institut in Leipzig habe ich zum Wortschatzerwerb gearbeitet. In einem meiner Forschungsprojekte habe ich untersucht, wie Kinder Zeigegesten und Wörter, die gemeinsam auftreten, interpretieren. Als ich die Ergebnisse 2007 an einem grossen internationalen Kongress vorstellte, kam ein amerikanischer Wissenschaftler auf mich zu und fragte: «Wie würden denn eure sprachtrainierten Hunden das machen?» Ich fand die Frage so spannend, dass ich mich näher damit beschäftigen wollte. Und so bin ich sozusagen auf den Hund gekommen (lacht).
Was heisst «sprachtrainiert»? Verstehen Hunde die menschliche Sprache?
Nein, nach derzeitigem Forschungsstand verstehen Hunde Sprache nicht, oder zumindest nicht so, wie wir Menschen das tun. Verschiedene Studien weisen jedoch darauf hin, dass Hunde in der Lage sind zu erkennen, dass mit ihnen kommuniziert wird. Um zu untersuchen, ob Hunde (oder andere Tiere) das auch können, sind extrem ausgetüftelte Versuchsaufbauten nötig. Ausgelöst wurde das wissenschaftliche Interesse am Hund aber durch einen ganz einfachen Versuchsaufbau: Man nimmt zwei Becher und stellt sie 4–5 Meter voneinander entfernt auf. Dann wird unter einem Becher ein Leckerli versteckt. Zeigt die Versuchsleiterin anschliessend auf einen der beiden Becher, finden Hunde sehr zuverlässig das Leckerli. Das erregte um das Jahr 2000 grosses Aufsehen, denn die Zeigegeste ist ein wichtiger Prädiktor für den kindlichen Spracherwerb.
Weshalb spielt die Zeigegeste für die Kommunikation eine wichtige Rolle?
Die Zeigegeste ist für Kleinkinder sozusagen der Einstieg in die Kommunikation. Im Alter von ungefähr neun bis zwölf Monaten verstehen Kinder, dass die Zeigegeste ein Mittel ist, um in der Interaktion gegenseitig die Aufmerksamkeit zu lenken. Etwas später nutzen Kinder die Zeigegeste, um neue Wörter zu lernen.
Das Spannende an der Zeigegeste ist, dass ihr Verstehen ein Erkennen voraussetzt: Erst wenn ich erkannt habe, DASS kommuniziert wird, kann ich auch «erraten», WAS kommuniziert wird. Aber allein aus der angemessenen Reaktion auf die Zeigegeste kann man noch nicht auf echtes Verstehen bei Hunden schliessen.
Verstehen denn auch andere Tiere menschliche Zeigegesten?
Naja, zumindest befolgen ziemlich viele Tiere die Zeigegeste. Zum Beispiel Elefanten, Pferde, Ziegen, Frettchen, Seelöwen oder Fledermäuse – aber Affen scheinen Schwierigkeiten damit zu haben, diese Geste zu verstehen. Für die Unfähigkeit der Affen gibt es verschiedene Erklärungen: fehlende Erfahrung mit Menschenhänden, fehlendes Kooperationsverhalten oder einfach unfaire Versuchsanordnungen. Ich bin mittlerweile zu dem Schluss gekommen, dass das Befolgen der Zeigegeste im Experiment kein Beleg für menschenähnliche Kommunikationsfähigkeiten bei Tieren ist.
Was nimmst du aus deinen bisherigen Forschungsarbeiten mit für deine Tätigkeit an der Pädagogischen Hochschule? Es gibt extrem spannende Berührungspunkte. Um gleich bei den Affen zu bleiben: Es gibt drei Fähigkeiten, die den Menschen und den Affen unterscheiden: Das Gedankenlesen, das präzise Nachahmen und eine natürliche Pädagogik. Dieses Wissen, das wir aus der vergleichenden Forschung haben, ist für pädagogische Kontexte hochrelevant.
Susanne Grassmann ist promovierte Entwicklungspsychologin und Psycholinguistin. In ihrer bisherigen Forschungstätigkeit hat sie sich mit dem frühkindlichen Spracherwerb, der frühen sozial-kognitiven Entwicklung sowie mit den kommunikativen Fähigkeiten von Tieren beschäftigt. Seit November 2015 arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum Lesen.