Berlin 1947. Paul lebt mit seiner Mutter in einer winzig kleinen Wohnung. Wenn er nicht mit seinen Freunden zusammen ist, organisiert er Lebensmittel auf dem Schwarzmarkt. Er hat seinem Vater versprochen, dass er gut auf Mutti aufpassen wird. Wann immer Paul unterwegs ist, trägt er die schwarze Lokführermütze seines Vaters, der irgendwo im Krieg verschollen ist. Paul glaubt fest daran, dass sein Vater irgendwann zurückkommen wird. Mutti hat sich mit der Situation arrangiert, immer häufiger ist Bill, ein amerikanischer Soldat, bei ihnen zu Gast. Bill bringt oft Sachen mit, die man sonst nirgendwo kriegen kann. Muttis Augen leuchten bei seinen Besuchen, wohl nicht nur wegen der Lebensmittel. Paul schämt sich deswegen und tut alles, damit Bill nicht mehr zu Besuch kommt. Pauls Freunde unterstützen ihn darin: Dieser Bill, dieser Verräter und Eindringling, muss weg und zwar schnell. Er gehört schliesslich zu den Feinden, ist mitschuldig daran, dass der geliebte Führer aufgeben musste und das versprochene grosse Reich nie Realität wurde. Als Pauls Vater plötzlich vor der Türe steht, eskaliert die Situation. Erst ganz langsam begreift Paul, dass sich nicht nur die gängigen Werte, sondern auch die Menschen und seine Familie verändert haben und dass nichts mehr so ist, wie es einmal war. Und dass das eigentlich das sehr gut ist so.
Sarah Bergmann hat ein eindringliches und sehr spannendes Buch geschrieben. Sie schildert, wie Kinder, die mit einer Ideologie und Kriegspropaganda gross geworden sind, nach Kriegsende mit einem neuen, völlig fremden Gedankengut konfrontiert und damit überfordert werden. Plötzlich gelten andere Werte und Normen. Sie alle wissen nicht mehr, was richtig ist und woran sie künftig glauben sollen. In diesem Sinn ist das Buch sehr aktuell. Auch die Beschreibung der verschiedenen Figuren, allen voran natürlich Paul, sind geglückt, differenziert und glaubhaft. Das eindrückliche und spannende Buch sei Leserinnen und Lesern ab etwa 12 Jahren sehr empfohlen.

Sarah Bergmann: Der Junge aus dem Trümmerland. magellan 2020. ISBN: 978-3-7348-4723-3

Rezension: Maria Riss