«Ah mensch Omi, jetzt bruch doch endlich mol WhatsApp…!»
Während der Covid-19-Pandemie verlagerten sich viele Alltagsaktivitäten schlagartig ins Digitale. Besonders für ältere Menschen stellte dies eine Herausforderung dar. Inwiefern der generationenübergreifende Zusammenhalt darunter gelitten hat, untersucht das Forschungsprojekt ICOCO.
Es ist nicht immer ganz einfach mit der Kommunikation in der Familie – auch weil die (erste) Wahl des Kommunikationsmittels nicht für alle Generationen gleich ist. Dabei gäbe es sich viel zu sagen: über den Arbeitsmarkt, Zukunftschancen, Klimawandel, Solidaritätsdenken und Lebensprioritäten, alles potenzielle Konfliktthemen zwischen der älteren und jüngeren Generation. Diese Themen sind Teil dessen, was gerne als «Gesellschaftlicher Zusammenhalt» bezeichnet wird und rückten seit Beginn der Pandemie verstärkt in den Fokus der Öffentlichkeit.
Gleichzeitig verändern neue digitale Kommunikationswege unser Zusammenleben, eröffnen Chancen, bringen aber auch neue Ungleichheiten mit sich – etwa beim Zugang zu Informationen, bei der Nutzung von Wissen, bei Kontaktformen oder digitalen Dienstleistungen. Mit der fortschreitenden Digitalisierung wächst die Sorge vor einer wachsenden Kluft zwischen den Generationen.
Die Pandemie wirkte dabei als Beschleuniger: Als viele alltägliche Tätigkeiten plötzlich online stattfanden, nahm die Digitalisierung der Gesellschaft rasch Fahrt auf. Das NFP 80-Projekt «Intergenerational Cohesion during COVID-19 and beyond (ICOCO)» untersucht nun die gesellschaftlichen Folgen der Pandemie. Eine Teilfrage lautet: Welchen Einfluss hatten (digitale) Kommunikationsformen auf den Zusammenhalt zwischen den Generationen in Familien während Covid-19?
Familiäre Konflikte als Frühwarnsystem für die Gesellschaft
Gesellschaftlicher Zusammenhalt – insbesondere zwischen Generationen – fusst auf zwei Stützpfeilern: Auf gesamtgesellschaftlicher Ebene verbinden Institutionen und soziale Sicherungssysteme wie die AHV die Lebenswelten von Jung und Alt. Auf individueller Ebene stärken vor allem familiäre Begegnungen das Gefühl von Zugehörigkeit und gegenseitiger Unterstützung: etwa durch Besuche, Telefonate, Hilfe im Haushalt oder bei der Kinderbetreuung.
Die familiären Kontakte tragen wesentlich zur Lebenszufriedenheit bei – insbesondere im Alter. Sie prägen auch das Bild, das die Generationen voneinander haben, über die eigene Familie hinaus. Wenn familiale Beziehungen problematisch werden, ist das meist ein Warnzeichen für grössere gesellschaftliche Konfliktherde.
Covid-19 als Brennglas für Kommunikationskonflikte
Die Kontaktpflege ist für die gegenseitige Wahrnehmung der Generationen wichtig. Während der Pandemie war die Möglichkeit des persönlichen Kontakts sehr eingeschränkt. Stattdessen musste auf technisch vermittelte Kontaktformen ausgewichen werden und es zeigten sich deutliche Unterschiede zwischen den Generationen in der Nutzung und Auswahl der Kommunikationsmittel.
Ältere Menschen, die mit Telefon, Brief oder Radio aufgewachsen sind, standen modernen Kommunikationsmitteln wie Videocalls und Messenger-Diensten oft zurückhaltend gegenüber oder hatten erst gar keinen Zugang dazu. In der Schweiz nutzten nur 70 % der über 65-Jährigen das Internet. Selbst mit Zugang mangelte es oft an den notwendigen technischen Kompetenzen. In der Folge beurteilten ältere Menschen diese Möglichkeiten als unsicher, unnötig kompliziert oder überflüssig. Wurden solche Angebote im Alltag vorausgesetzt, etwa bei Online-Shopping, E-Banking oder Videocalls, fühlten sich viele ausgeschlossen. Dies kann zu Unverständnis und Frustration auf beiden Seiten führen: Die Jüngeren nehmen die Zurückhaltung älterer Verwandter als Desinteresse wahr, Ältere empfinden die Schnelligkeit und Komplexität der neuen Medien als überfordernd – und am Ende leiden sowohl die Beziehungen als auch das Wohlbefinden aller Beteiligten.
Die Digitalisierung birgt Risiken für die Kontaktpflege zwischen den Generationen, die während Covid-19 sicht- und spürbar wurden: Ältere Menschen wichen auf Telefonate aus, während Jüngere über Videocalls und Messenger-Dienste kommunizierten. Der Kontakt brach zwar nicht ab, dennoch entstand bei manchen älteren Personen das Gefühl, sich innerhalb der Familie zu wenig zu sehen – z.B. dadurch, dass sie nicht an Gruppenchats oder Videokonferenzen teilnehmen konnten. In einer in der Schweiz durchgeführten Befragung von ca. 1’000 Personen über 65 gaben 43 % an, während der Pandemie zu wenig Zeit mit wichtigen Menschen verbracht zu haben. Auch die Qualität der Kontakte litt. Ohne persönliche Begegnungen blieb eine emotionale Lücke.
Gefahr wortwörtlich «aneinander vorbeizureden»
Die Covid-19-Pandemie hat deutlich gemacht, wie stark sich die Generationen in ihrer Mediennutzung unterscheiden und wie sehr diese Unterschiede den Alltag beeinflussen können. Die Pandemie hat diese Entwicklung nicht ausgelöst, sondern bestehende Spannungen lediglich sichtbarer gemacht. Gute Beziehungen zwischen den Generationen brauchen gegenseitiges Verständnis und die Bereitschaft zur Anpassung – auf beiden Seiten. Andernfalls laufen wir Gefahr im wahrsten Sinne des Wortes «aneinander vorbeizureden».
Erste Ergebnisse aus dem Forschungsprojekt finden sich im Buchkapitel von «Generationenübergreifende Ansätze in der Sozialen Arbeit» (beltz.de):
Weitere Informationen zum Projekt ICOCO finden sich auf der Projektwebseite