29.3.2023 | Institut Digitales Bauen, Hochschule für Architektur, Bau und Geomatik
Master-Thesis: Bauwerksmodellbasierte Ausschreibung
Anfang 2023 war es so weit, die allerersten Master-Thesen des MSc FHNW VDC wurden eingereicht. Livio Wyrsch gehört zu diesen ersten Absolventen. Der Titel seiner Arbeit: «Bauwerksmodellbasierte Ausschreibung». Ein Thema, das die Baubranche seit dem Aufkommen der BIM-Methode interessiert. Wir haben die Chance genutzt und Livio zu seiner Motivation, seinen Resultaten und Erkenntnissen befragt.
«Durch meine Arbeit in einem Architekturbüro weiss ich wie aufwändig und intensiv die Ausschreibungsphase ist. Dabei ist es besonders frustrierend, dass die resultierenden Ausschreibungsunterlagen sehr fehleranfällig sind. Das liegt zum einen daran, dass viele Details entwickelt werden müssen, ohne dass die ausführenden Unternehmen bekannt sind. Nach der Vergabe müssen diese deshalb neu gelöst werden. Zum andern sind die Personen, welche die Ausschreibung vorbereiten, meist andere als jene, die die Planunterlagen erarbeitet. Daraus resultieren Interpretationsfehler bei der «Übersetzung» von Planunterlagen mit Beschrieben in einem Leistungsverzeichnis nach dem Normpositionen-Katalog NPK. Die gesamte Ausschreibungsphase ist deshalb geprägt von Mehraufwänden für alle Beteiligten.
In der Verwendung von digitalen Bauwerksmodellen sehe ich persönlich grosses Potential, den aktuellen Prozess zu verbessern. Vor allem weil diese seit dem Aufkommen der BIM-Methode mehr und mehr im Planungsprozess und in der Realisierung verankert werden. Die traditionelle, leistungsorientierte und textbasierte Ausschreibung stellt dabei einen massiven Medien- und Konzeptbruch dar. Zudem kommt es bei dieser analogen Arbeitsweise zu redundanten Daten, die losgelöst von digitalen Bauwerksmodellen, an verschiedenen Orten abgelegt werden. Die durchgängige Nutzung von digitalen Bauwerksmodellen könnte das verhindern und für einen durchgängigen Datenfluss sorgen. Ein weiterer Vorteil liegt darin, dass Unternehmer bis anhin lediglich Leistungsbeschriebe und 2D-Pläne für die Erarbeitung ihrer Angebote erhalten. Digitale Bauwerksmodelle würden zusätzliche Informationen und einen Kontext liefern, was die Qualität der Angebote steigern könnte.
Trotz all dieser Punkte, muss darauf hingewiesen werden, dass das aktuelle Vorgehen nicht grundlos so verankert ist. Der heutige Prozess hat sich in der Baubranche über die letzten 60 Jahre entwickelt und ist gut dokumentiert, strukturiert und mit verschiedenen Standards von CRB auf das Schweizer Bauwesen angepasst. Damit bietet er den beteiligten Personen eine klare Struktur, eine einheitliche Sprache und Sicherheit bei der Umsetzung. Deshalb ist es verständlich, dass viele von mir untersuchten Ansätze für eine bauwerksmodellbasierte Ausschreibung versuchen, möglichst nah am bestehenden Prozess zu bleiben und diesen zu digitalisieren. In meinem Verständnis liegt das Potential der Digitalisierung aber vor allem darin, dass wir veraltete Prozesse neu denken können, indem wir unsere neuen digitalen Werkzeuge vollumfänglich nutzen.
Neben Ansätzen die alten Prozesse zu digitalisieren, bin ich auf einige gestossen, die der Philosophie folgen, dass die Ausschreibung bauteilorientiert sein solle. Diese Ansätze sind jedoch mit einem erheblichen Mehraufwand für die Angebotskalkulation der Unternehmungen verbunden. Meiner Meinung nach muss ein neuer Standard allerdings einen Vorteil für alle Parteien bieten.
Aus diesen Gründen habe ich mich entschieden, einen eigenen, neuen Ansatz zu entwickeln
Das Konzept sieht vor, jedes Teilelement (Wandelement hat z.B. die Teilelemente: Mauerwerk, Bewehrung, Anker und Anschlüsse) aus dem digitalen Bauwerksmodell anhand von den hinterlegten Eigenschaften auszulesen. Die Daten werden in einem nächsten Schritt nach definierten Regeln sortiert und gruppiert. Dieses Vorgehen ermöglicht der Unternehmung dann einen spezifischen Einheitspreis für jeden Typ eines Teilelementes abzugeben. Dieser eingetragene Einheitspreis von der Unternehmung bildet die Grundlage für die Offerte. Im Hintergrund wird dann der Typ und dessen Einheitspreis auf die zutreffenden Teilelemente aufgeschlüsselt. Der Preis eines Teilelements wird mit einem Formelsatz aus der Menge und dem Einheitspreis errechnet. Aus den summierten Preisen der Teilelemente ergibt sich der Bauteil-Preis.
Technisch funktioniert meine erste prototypische Umsetzung mit Hilfe einer Datenbank. Alle Bauteile aus dem digitalen Bauwerksmodell sind einheitlich erkennbar über die GUID. Mit verschieden Abfragen und der Formularfunktion, in meinem Fall die von MS Access, können die Einheitspreise für die Offerte elektronisch eingeholt und automatisiert verarbeitet werden. Anschliessend können die Kosteninformationen ins digitale Bauwerksmodell übernommen, oder weiter in der Datenbank für Auswertungen und Vergleiche verwendet werden.
Gemeinsam mit einer Person aus dem Bereich der Kalkulation im Gewerk des Baumeisters durfte ich meine erste prototypische Umsetzung testen. Dabei konnte ich aufzeigen, dass der Ansatz grundsätzlich funktioniert. Der Baumeister war überrascht, wie einfach er die Preise angeben konnte. Dabei musste ich allerdings feststellen, dass allein mit den Eigenschaften aus den Bauteilen nicht alle Leistungen erfasst werden konnten. So gibt es bestimmte Aufgaben oder Zusatzarbeiten, die nicht unmittelbar an einem Bauteil verortet werden können. Daraus resultiert, dass ein Ausschreibungspaket aus mindestens drei verschiedenen Teilen besteht. Im ersten Teil werden die allgemeinen Bedingungen definiert, welche die für das gesamte Projekt gelten. Im zweiten Teil sind die gewerkspezifischen Bedingungen die z.B. nur das Mauerwerk betreffen und im dritten Teil sind dann, wie oben aufgezeigt, die geometrischen und alphanumerische Informationen der Teilelemente verordnet.
Schlussendlich entwickelte ich einen Ansatz, in dem ich grosses Potential für die Baubranche sehe, weil sich der Arbeitsaufwand sowohl für die Planenden als auch für die Ausführenden verringert und Projektinformationen durchgängig an einem zentralen Ort gespeichert sind. Damit werden vergleichbare, kostentransparente und aussagekräftige Offerten ermöglicht. Weiter sehe ich in meinem Ansatz eine wirkliche digitale Transformation. Meine Thesis ist hiermit abgeschlossen, ich freue mich allerdings schon darauf meinen Ansatz weiterzuentwickeln und ein erstes Mal in der Praxis zu testen.»
Livio Wyrsch, BA HSLU/FHZ in Architektur & MSc FHNW in Virtual Design and Construction (VDC)
Master-Thesis
Livio Wyrschs Master-Thesis "Bauwerksmodellbasierte Ausschreibung im Hochbau mit Fokus auf die Devisierung einer Wand" kann hier von der Publikations- und Forschungsdatenbank der FHNW heruntergeladen werden.
Zu Livio Wyrschs Master-Thesis