17.7.2019 | Hochschule für Architektur, Bau und Geomatik
Erzähl mal… Wissam Wahbeh
Wissam Wahbeh ist für den Fachbereich BIM Modellierungstechnologien des Instituts Digitales Bauen verantwortlich und ist überzeugt, dass mit Hilfe von «Parametric Design» künftig effektiver und optimaler geplant werden kann. Erzähl mal…
«Ich habe in meiner Heimat Syrien Architektur studiert und später in Italien meinen Master in Architekturgeschichte gemacht. Was ich von Anfang an sehr interessant fand, war darstellende Geometrie, sogenannte «Descriptive Geometry». Darstellende Geometrie ist ein grundlegendes Thema in Studien im Zusammenhang mit dem Bauwesen. Die wurde ursprünglich entwickelt, um die Geometrie des Schneidens von Steinblöcken beim Steinbau darzustellen. Die Beziehung zwischen dem architektonischen Raum und der Geometrie des einzelnen Steins ist sehr eng. Das Ganze definiert die Details und die Gesamtheit der Details bildet das Ganze.
Die mathematische Grundlage des technischen Zeichnens und Modellierens, die auf der Wissenschaft des französischen Mathematikers Gaspard Monge aus dem achtzehnten Jahrhundert basiert, fand ich faszinierend. Deshalb widmete ich mein Doktorat der Darstellung von Architektur, der «Architectural Representation». Eine praktische Anwendung der darstellenden Geometrie ist die der Modellierung auf der Basis von Bildern. Dabei handelt es sich um eine projektive Geometrie, bei der das Bild als eine Perspektive des fotografierten Objekts betrachtet wird. Perspektive hat auch Regeln, die von Filippo Brunelleschi, einem der führenden italienischen Architekten und Bildhauer der Frührenaissance, gut definiert wurden. Mit der Entwicklung der digitalen Fotografie und der Möglichkeit, Algorithmen zu verwenden, wird es immer praktischer, diese Regeln zu automatisieren, um zur geometrischen Form zu gelangen. Das war das Thema der Doktorarbeit an der Sapienza Universität in Rom. Im Rahmen meines Post-Doc am Institut Geomatik der FHNW wandte ich die erlangten Erkenntnisse auf ein konkretes kulturelles Beispiel an, nämlich die virtuelle Rekonstruktion von Denkmälern in Syrien, die während des Krieges absichtlich zerstört wurden - eine Antwort der Wissenschaft an die Feinde der Kultur, wenn auch leider nur eine virtuelle.
Foto © by Joel Sames
Schon früh in meinem Studium und während meiner Tätigkeiten als Entwurfsarchitekt habe ich begonnen, Algorithmen und parametrische Modellierung zu nutzen, um geometrische Probleme zu lösen. Ich bin kein Programmierer. Aber das muss ich auch nicht sein, um etwas automatisieren zu können, weshalb es einfach ist, mit visuellen Programmierungstools zu arbeiten. Wichtig sind dabei die Vorstellungskraft und Abstraktionsfähigkeit, um Probleme zu lösen. So kam ich zum «Parametric Design», das beispielsweise für Architekturentwürfe genutzt werden kann, aber auch für Berechnungen von Bauingenieuren, Energie, Fabrikation oder für allgemeine Modellierungen.
Parametrisches Design ist kein neues Konzept, aber die Möglichkeit, diese Methode direkt von Planern zu nutzen, ohne Programmierer zu sein, ist mit den visuellen Programmierwerkzeugen der Autorensoftware im Rahmen des VDC (Virtual Design and Construction) möglich geworden. Nehmen wir mal an, eine Person hat eine Idee, beispielsweise ein Architekt oder Ingenieur. Seine Idee bezieht sich auf ein Haus. Dabei bringt er seine Erfahrungen und Kultur mit und entscheidet anhand seines Wissens, wie er das Bauprojekt angeht. Aus der Idee wir also am Ende ein Haus. Das «Parametric Design» bringt einen Schritt zwischen die Idee und das Haus, nämlich einen Algorithmus, ein System. Wenn der Planer den Entwurf als System beschreibt, entsteht nicht nur die Lösung, die im Kopf des Architekten vorhanden ist, sondern es können auf Basis von Regeln, die der Planer definiert hat innerhalb eines Flexibilitätsbereichs, den er definiert hat, unendlich viele Lösungen entstehen. Ein parametrisch definiertes Modell kann sich also immer wieder verändern. Ich kann dabei eine Regel definieren, z.B. dass in der Mitte eines Gebäudes ein Flur sein muss, der Zugang zum Treppenhaus oder Lift hat und gleichzeitig zu allen Wohnungen in diesem Stockwerk. Wenn ich dann die Grösse des Gebäudes oder der einzelnen Wohnungen variiere, passt sich der Flur der Veränderung an, respektiert aber die definierten Regeln, bleibt z.B. in der Mitte um Zugänge für alle Wohnungen zu garantieren. Die Grösse und Aufteilung der Wohnungen können sich aber verändern.
In einem weiteren Schritt kann der Algorithmus die Lösungen dann auch noch bewerten. D.h. wir können innerhalb eines Algorithmus Funktionen definieren, die eine Rückmeldung geben, z.B. welche von unseren Lösungen die beste, sicherste oder die günstigste ist, oder noch besser, alle Faktoren zusammen zu verbessern. Hier spricht man dann von einem Generativen Entwurf. Ein Experte Planer kann ja mehrere Faktoren berücksichtigen, aber mit Hilfe von Algorithmen kann man eine unlimitierte Anzahl von Faktoren berücksichtigen.
Foto © by Joel Sames
Denken Sie an das Beispiel des architektonischen Raumes und der einzelnen Steinblöcke. Wenn wir wollen, können wir ein System definieren, das für jede beliebige Geometrie des architektonischen Raumes automatisch Modelle von einzelnen Blöcken erzeugt, die so regelmässig wie möglich, klassifiziert, nummeriert und bereit sind, an Schneidemaschinen übertragen zu werden. Aber: Ein Algorithmus, der ohne Fachkenntnisse erstellt wurde, kann kein Haus entwerfen. Es braucht die Idee des Planers als Basis, um nutzbare Lösungen entwickeln zu können.
Ich finde den Ansatz des «Parametric Design» sehr spannend, denn er eröffnet unendliches Potential, um Lösungen zu finden - und zwar nicht nur gute, sondern die optimale Lösung für ein Problem. Diese Technik ermöglicht es auch, Routinearbeiten zu automatisieren. So kann ich u.a. festlegen, dass gewisse Komponenten immer einen bestimmten Platz haben, beispielsweise dass der Lichtschalter immer neben der Tür platziert wird. Im Bau müssen viele Regeln berücksichtigt werden und es erleichtert die Arbeit von Architekten und Planern ungemein, wenn gewisse Faktoren automatisch berücksichtig werden.
«Parametric Design» ist sicher ein wichtiges Thema der Zukunft. Man kann dadurch die Arbeit verbessern und die Qualität steigern, da man schon von Anfang an über wichtiges Wissen verfügt, beispielsweise über die Energieleistung eines Gebäudes. Daher muss man nicht mehr auf langwierige Berechnungen warten, sondern hat sehr schnell Resultate. Dementsprechend kann man auch viel schneller reagieren, von Anfang an bewusste Entscheidungen treffen und Fehler minimieren, was am Ende für alle einen grossen Mehrwert generiert.»