8.6.2023 | Hochschule für Technik und Umwelt
So könnte die Schweiz ihren Stromverbrauch mit Sonne, Wind und Wasser decken
Kann die Schweiz allein mit Photovoltaik- und Windenergieanlagen, Wasserkraft und Speichern ihren gesamten Strombedarf über das Jahr hinweg decken? Dieser Frage ging Prof. Dr. David Zogg, Forscher an der Hochschule für Technik FHNW, in einer Studie nach. Die überraschende Antwort: Es ist möglich – und nicht unbedingt teurer, als den bisherigen Weg weiterzugehen.
Um die Winterlücke zu schliessen, braucht es PV-Anlagen in alpinen Lagen.
Aktuell verbraucht die Schweiz rund 55 TWh an Strom pro Jahr. Die Energiestrategie 2050 prognostiziert, dass diese Zahl bis zum Jahr 2050 unter anderem dank einer Zunahme an Wärmepumpen und Elektrofahrzeuge auf 70 TWh ansteigen wird. Der Bedarf pro Monat variiert aber über das Jahr: Im Winter steigt der Strombedarf der Schweiz deutlich an.
Prof. Dr. David Zogg, Professor für Regel- und Energietechnik an der FHNW und CEO des Energieberatungsunternehmens Smart Energy Engineering, untersuchte in einer Studie, ob es möglich ist, diesen Strombedarf über das gesamte Jahr hinweg mit im Land produzierter Wasserkraft sowie Solar- undWindenergie zu decken – und wie viele Anlagen dafür neu gebaut werden müssten.
Zogg nutzte für seine Berechnungen bestehende Studien, erweiterte diese aber auf eine monatliche Betrachtung. Denn nicht nur der Strombedarf, sondern auch die möglichen Produktionsmengen ändern sich mit den Jahreszeiten: Photovoltaik (PV)-Anlagen im Mittelland produzieren etwa dank der längeren Sonnenscheindauer und der Witterung im Sommer deutlich mehr Strom als im Winter.
Erste Berechnungen ergaben denn auch, dass zusätzliche PV-Anlagen auf Hausdächern im Mittelland zwar notwendig sind, aber nicht ausreichen, um den Strombedarf der Schweiz über das ganze Jahr hinaus zu decken. Versuchsanlagen in den Schweizer Alpen zeigen, dass PV-Anlagen in den alpinen Regionen im Gegensatz dazu im Winter hohe Stromerträge erzielen können - dank der Reflexion der Schneeoberflächen, der niedrigen Lufttemperatur und vergleichsweise wenig Nebel.
«Es müssten daher alpine PV-Anlagen und allenfalls Windenergieanlagen gebaut werden, da auch diese vorwiegend im Winter Strom produzieren», erklärt Zogg. «Gleichzeitig könnte die Schweiz die Möglichkeit der saisonalen Speicherung über Wasserstoff-Technologien nutzen, um die Stromlücken im Winter ohne Importe schliessen zu können».
Technologien kombinieren
Aufgrund dieser Überlegungen rechnete Zogg in der Studie drei verschiedene Szenarien durch. Bei allen drei Szenarien liegt die Annahme zugrunde, dass alle geeigneten Hausdächer und Fassaden im Mittelland mit PV-Anlagen ausgerüstet werden, was gemäss einer Potentialstudie von Swissolar rund 330 km2 entspricht. Gleichzeitig werden die bestehenden Laufwasserkraftwerke und die saisonale Speicherung über die Speicherseen vollständig genutzt.
Szenario A – Alpine PV-Anlagen: In der ersten Variante wird die Stromlücke in den Wintermonaten allein durch alpine PV-Anlagen gedeckt. Um den künftigen Bedarf im Januar vollständig zu decken, müssten 6.4% oder rund 300 Quadratkilometer der vegetationslosen Fläche in den Alpen zugebaut werden, etwa Geröllfelder oder felsige Gebiete. In diesem «extremen» Szenario würde in den Sommermonaten ein massiver Überschuss entstehen. Wind und Wasserstoff als Speicher würde nicht genutzt.
Szenario B - Windenergie: Hier würde auf alpine PV-Anlagen verzichtet und dafür auf einen maximalen Ausbau der Windenergie gesetzt. Um alle Monate vollständig abzudecken, müssten im Jura, Mittelland und in den Alpentälern rund 4’400 Windkraftanlagen gebaut werden. Auch hier besteht in den Sommermonaten eine massive Überproduktion.
Szenario C – Kombination von PV-Anlagen mit saisonaler Speicherung: Das moderateste Szenario kombiniert die alpinen PV-Anlagen mit saisonaler Speicherung: Der im Sommer produzierte Überschuss wird mit Power-to-X in Wasserstoff oder Methan umgewandelt, saisonal gespeichert und im Winter wieder in Strom rückgewandelt. Damit entstehen zwar hohe Prozessverluste von rund 70% in Form von Abwärme, aber es ist möglich, einen grossen Anteil des Strombedarfs im Winter so zu decken. Damit kann der im Szenario A berechnete Anteil an alpinen PV-Anlagen stark reduziert werden: es müssten nur noch 1.4 % der vegetationslosen Fläche zugebaut werden, das entspricht rund 63 km2.
Viel weniger Flächenbedarf dank Kombination von PV-Anlagen und Windenenergie
«Praktikabel wäre ein intelligenter Kompromiss, der die Technologien aus den Szenarien oben kombiniert», so die Bilanz von Zogg. «So könnten beispielsweise mit 32 km2 alpinen PV-Anlagen und 440 Windenergieanlagen kombiniert mit saisonalen Speichern der Jahresbedarf an Strom zu 100% gedeckt werden, ohne auf Import im Winter angewiesen zu sein und hohe Überschüsse im Sommer zu generieren.»
Auch zu den Kosten hat Zogg in seiner Studie Berechnungen angestellt. «Man muss dabei allerdings beachten, dass Kostenschätzungen insbesondere auf über 20 Jahre hinaus mit grossen Unsicherheiten behaftet sind», so Zogg. Die Gestehungskosten, also die Investitionen und Betriebskosten, über die Lebensdauer amortisiert, liegen beispielsweise für das Szenario C auf der Basis des Jahres 2050 mit rund 15.6 Mia. CHF pro Jahr in einem ähnlichen Rahmen wie konventionelle Szenarien, die Atomkraft und Stromimport berücksichtigen.
David Zogg zieht ein klares Fazit. «Beide Wege verursachen für die schweizerische Bevölkerung auf lange Frist ähnliche Energiekosten. Deshalb kann es kein Entscheid der Kosten sein, sondern des Willens, den Klimaschutz ernst zu nehmen. Im Vergleich zur Kernkraft und CO2-belastendem Energieimport bergen PV- und Windenergieanlagen erheblich kleinere Risiken für Natur und Gesellschaft. Zudem können die neuen Technologien die Wertschöpfung in der Schweiz und Europa erheblich fördern.»
Eine mögliche zukünftige Energiekarte der Schweiz mit PV auf Dächern (Mittelland), PV Alpin, Windenergie und saisonaler Speicherung. Die bestehende Wasserkraft inkl. Speicherseen wird dabei optimal ausgenutzt.
Link zu den Berechnungen
Eine Kurzversion der Studie kann unter folgendem Link heruntergeladen werden: zur Kurzversion
Die detaillierte Studie kann unter folgendem Link heruntergeladen werden: Zur Vollversion