31.10.2023 | Pädagogische Hochschule
Bühne frei für Kreativität und Fantasie
Während eines Schuljahres erarbeiten Klassen eine Produktion für das Schultheatertreffen 2024 – dabei werden auch zahlreiche überfachliche Kompetenzen geschult.
«Du!» – «Wer? Ich?» – «Ja, du!» Dritt- und Viertklässler*innen stehen im Kreis in der Aula des Aarauer Gönhard-Schulhauses. Immer wieder geht ein Kind durch den Kreis auf ein anderes zu und der Dialog ertönt. «Du!» – «Wer? Ich?» – «Ja, du!» Mal klingt es schüchtern, mal wütend. Mal trotzig, mal erfreut.
Die Schüler*innen von Anja und David Bugmann sind mitten in einem Theaterpädagogik-Workshop, den Regina Wurster, Leiterin des Ressorts Theaterpädagogik der PH FHNW, leitet. Sie modulieren ihre Stimme, probieren deren Wirkung aus, transportieren mit ihr Gefühle. Es ist Mitte August und der Workshop ist der Kickoff-Anlass für ein Schuljahr, in dem Theater in den beiden Klassen eine grosse Rolle spielen wird. Anja und David Bugmann nehmen mit ihren Klassen am Schultheatertreffen im Juni 2024 teil und erarbeiten gemeinsam eine Produktion.
Bis dahin ist der Weg noch weit. «Aktuell ist einzig klar, dass die 45 Schüler*innen der beiden Klassen in der Produktion mitspielen werden», sagt David Bugmann im Gespräch nach dem Workshop mit einem Schmunzeln. «Alles weitere werden wir in den nächsten Monaten gemeinsam erarbeiten.» Anja Bugmann ergänzt: «Ein Schüler kam schon zu mir und hat gesagt, im Stück müsse dann unbedingt ein König vorkommen. Eine andere Schülerin hat mir einen Zettel mit Ideen mitgegeben. Alle sind mit Begeisterung und Euphorie dabei.»
Dies ist auch im Kickoff-Workshop spürbar. Regina Wurster zeigt nun auf den Rand der leeren Bühne in der Aula. «Seht ihr die Parkbank?», fragt sie. Es dauert einen Moment, bis die Kinder darauf einsteigen. «Ihr seht doch die Parkbank, jetzt brauche ich Leute, die sich darauf setzen und ohne Worte ein Gefühl oder eine Aktion darstellen.» Nun haben die Schüler*innen verstanden. Die ersten beiden setzen sich auf die imaginäre Parkbank und machen durch ihre Körpersprache deutlich, dass sie verärgert oder euphorisch sind oder dass sie gelangweilt Autos hinterherblicken. Kurz darauf geht es in einer nächsten Übung darum, sich blind nur an der Fingerkuppe des Zeigfingers durch den Raum führen zu lassen und so auf die Bewegungen des jeweils Führenden einzugehen. Die Lektion vergeht wie im Flug – und als die Schulglocke ertönt, sind alle noch mit vollem Eifer dabei.
Konzentration, Kreativität, Auftrittskompetenz
«In normalen Unterrichtsstunden ist es schwierig, die Konzentration so lange hochzuhalten», weiss Anja Bugmann aus Erfahrung. Damit spricht sie einen der Gründe an, weshalb sie und ihr Mann sich entschlossen haben, mit einem Projekt am Schultheatertreffen teilzunehmen. «Die Konzentration ist sicherlich eine der überfachlichen Kompetenzen, die mit theaterpädagogischem Unterricht gefördert werden kann», sagt sie. Hinzu kommen noch zahlreiche andere: Die Fantasie der Schüler*innen wird beispielsweise angeregt, sie können ihre Auftrittskompetenz schulen oder lernen aufeinander einzugehen. Regina Wurster führt noch einen weiteren Aspekt an: «Die theaterpädagogische Arbeit in der eigenen Klasse unterstützt die Beziehungsarbeit zwischen Schüler*innen und Lehrperson. Und nur in einem guten Beziehungskontext lässt sich nachhaltig lernen und lehren.»
«Vieles passiert dabei spielerisch und beiläufig, während die Kinder grossen Spass am Theater haben», sagt Anja Bugmann. David Bugmann, der schon dreimal am Schultheatertreffen teilgenommen hat, führt noch einen weiteren Punkt ins Feld: «Das Gemeinschaftsgefühl in den Klassen steigt. Alle haben jeweils auch die Gruppe im Blick. Die Schüler*innen erschaffen gemeinsam nicht nur eine Produktion, sondern ein Erlebnis, das sie stolz macht und das ihnen in Erinnerung bleibt.»
Viel zum Gemeinschaftsgefühl trägt sicherlich die partizipative Art und Weise bei, in der die Produktion erarbeitet wird. Zwei Lektionen pro Woche werden die beiden Klassen miteinander verbringen und auf das Schultheatertreffen hinarbeiten. «Die Kinder werden ihre Ideen einbringen. Wir werden an den Ideen arbeiten und sie weiterentwickeln», sagt David Bugmann. Dabei werden nicht nur Fantasie und Kreativität gefördert, sondern die Schüler*innen lernen auch, ihre Ideen zu verkaufen. «Etwas, das ihnen später auch im Berufsleben viel nützen wird», wie David Bugmann betont. Die beiden Lehrpersonen sind im Erarbeitungsprozess quasi die Regisseure, die letztlich die Fäden in der Hand halten und dafür sorgen, dass aus der sprudelnden Kreativität eine Produktion mit rotem Faden entsteht.
Weiterbildung für Lehrpersonen
Begleitet werden die Lehrpersonen, die am Schultheatertreffen 2024 teilnehmen, von den Expert*innen des Ressorts Theaterpädagogik der PH FHNW. «Für die Lehrpersonen ist es eine offizielle Weiterbildung», erklärt Ressortleiterin Regina Wurster. Immer wieder gibt es thematische Kursblocks, wie etwa zum Thema «Dramaturgie entwickeln» oder «Übergänge inszenieren». Dazwischen finden zudem Online-Sessions statt, in denen sich die Lehrpersonen der teilnehmenden Klassen über die aktuellen Herausforderungen und Highlights ihrer Produktionen austauschen können. «Dieser Austausch ist sehr wichtig», so Wurster. «Er gibt immer wieder neue Einblicke und Ideen, welche die Lehrpersonen dann sogleich konkret mit ihren Klassen ausprobieren können.»
Zur Beratungsstelle Theaterpädagogik der PH FHNW
21 Produktionen in Aarau
Das Schultheatertreffen der PH FHNW findet im Zweijahresrhythmus statt. Im Juni 2024 werden auf der Bühne der Alten Reithalle in Aarau 21 Produktionen gezeigt. «Als Rahmen gilt, dass die Produktionen selbst erarbeitet werden müssen und nicht länger als 40 Minuten sein dürfen», sagt Regina Wurster.
Die Klassen präsentieren ihre Produktionen jeweils vor drei anderen Klassen, anschliessend diskutieren die Schüler*innen darüber. «So entsteht eine Art Expert*innentagung», sagt Regina Wurster. Es sei jeweils beeindruckend zu sehen, dass die Schüler*innen nach einem Jahr intensiver Arbeit sehr fundierte Feedbacks und Inputs geben.
Text und Bild: Marc Fischer
Der Artikel erschien in «Das Heft», Ausgabe Nr. 10 (2023) zum Thema «Nachhaltigkeit in Bildung»
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