19.10.2022 | Pädagogische Hochschule
Virtuelle Brücken in die Natur
Zwei Studierende der PH haben digitale Postenläufe zu ausserschulischen Lernorten kreiert.
Digitale Medien sind im Alltag von Jugendlichen nicht mehr wegzudenken. Sie sind eine Selbstverständlichkeit, genauso wie das Lernen an Orten ausserhalb der Schule. Dennoch bestehen teilweise Vorbehalte, mit Smartphones und Tablets zu arbeiten und an den ausserschulischen Lernorten fehlen oft passgenaue didaktische Materialien, mit denen Lehrpersonen und ihre Klassen auf «Expeditionen» im Zoo oder im Museum arbeiten können. Zwei Masterarbeiten von Studierenden der Pädagogischen Hochschule FHNW verbinden nun die beiden Domänen: Ausserschulische Lernorte und digitales Lernen. Miriam Trinkler und Norbert Wissing haben sich beide intensiv mit der App Actionbound auseinandergesetzt und zusammen mit Partnerinstitutionen multimediale Lerneinheiten für das Fach Biologie entwickelt. Miriam Trinkler hat einen Actionbound für den Zoo Basel erarbeitet, Norbert Wissing einen für eine Wanderausstellung des Naturhistorischen Museums Basel.
Digitale Schnitzeljagden
Aber zuerst, was ist überhaupt ein Actionbound, und weshalb eignet er sich für die Schule und ausserschulische Lernorte? «Die App wurde ursprünglich für urbane Schnitzeljagden konzipiert», erzählt Ruedi Küng, Fachdidaktik-Dozent Biologie an der PH. Als er einem seiner Studierenden von seiner Expedition nach Spitzbergen erzählte, sei dieser auf die Idee gekommen, mit einem Actionbound die Arktis ins Klassenzimmer zu holen. Und so setzte der Student quasi einen der ersten Bounds für die Schule um. «Solche digitalen Schnitzeljagden eröffnen einen kreativen Zugang für Schüler*innen. Und letztlich ist es auch für Studierende und Lehrpersonen interessant, mit ihrer Arbeit an einem Actionbound einen Mehrwert für Kolleg*innen und die verschiedenen Institutionen zu generieren», so Küng. Um einen Actionbound zu erstellen, brauche es keine Programmierkenntnisse, jedoch fachdidaktisches und pädagogisches Know-How. Deshalb wird Küng immer wieder von Institutionen angefragt, ob die PH stufengerechte Handreichungen zu Ausstelllungen entwickeln könne. «Aktuell sind solche Bounds sehr gefragt.»
Aufgaben im Austausch mit dem Zoo konzipiert
So hat Miriam Trinkler für den Zoo Basel ein Thema aus dem Lehrplan für den letzten Zyklus der Sekundarstufe 1 aufbereitet: Evolutionäre Anpassungen bei Säugetieren. «Mein Ziel ist es, die Schüler*innen zum genauen Beobachten und zum Schlussfolgern anzuregen», erzählt Trinkler. Sie hat in einer Recherche zehn Tiere definiert, bei denen sich markante Merkmale erkennen lassen. Das zeigt sich etwa am Beispiel von Okapi und Giraffe. Die Tiere leben nicht in derselben Vegetationszone. Wie lassen sich nun Rückschlüsse auf ihre evolutionäre Verwandtschaft und Entwicklung ziehen? Die Stirnzapfen (Ossikone) haben sie gemein, in der Körpergrösse unterscheiden sie sich – so lernen die Jugendlichen in der Anschauung das Konzept der Divergenz.
Die Jugendlichen haben die Aufgabenstellungen auf ihrem Handy. Mal sind sie aufgefordert, einen Audiobeitrag zu gestalten, ein anderes Mal sind Beschreibungen oder ein kurzes Video gefragt. Trinkler hat im gemeinsamen Austausch mit dem Zoo die Aufgaben konzipiert. Die Tiere wurden durch einen Fotografen abgelichtet – «denn es ist ja nicht sicher, dass sie sich beim Besuch zeigen.» Zudem hat Trinkler eine Handreichung geschrieben und ist derzeit auch daran, Unterlagen für die Nachbereitung zusammenzustellen.
Nach der Evaluation mit sieben Klassen ist sie vom Konzept überzeugt. «Die Handhabung ist intuitiv. Die Lehrpersonen können niederschwellig den Zoo besuchen und haben didaktische Materialien zur Hand. Und das Format passt auch. Die Kinder mögen es, Punkte zu sammeln», sagt sie schmunzelnd. «Das ist Gamification».
Gute Mischung der Aufgaben wichtig
«Erde am Limit» heisst die Ausstellung, für die Norbert Wissing einen Actionbound entwickelt hat. Sie lief bis vor Kurzem im Naturhistorischen Museum in Basel und wird ab dem 23. September im Kulturama, Museum des Menschen, in Zürich zu sehen sein.
Auch Wissings Ziel war, die Ausstellung didaktisch an den Lehrplan zu binden. Zudem legte er einen Fokus darauf, dass die Schüler*innen die Exponate der Ausstellung kennenlernen. In einer früheren Arbeit hatte er sich bereits mit der Ausstellung auseinandergesetzt und mit einem Kommilitonen mögliche didaktische Settings für den Actionbound entworfen. Zu jedem der acht Räume, die die Ausstellung umfassen, gibt es nun je eine Aufgabe im Actionbound. Thematisch bewegen sie sich im Bereich der Biologie, zeigen aber auch die wechselseitige Verbindung zu anderen Disziplinen auf – das Anthropozän, das Zeitalter, in dem der Einfluss des Menschen sich geografisch und biologisch in die Geschichte der Erde einkerbt, bedingt eine interdisziplinäre Sicht und wohl auch eine multimediale Thematisierung und Bearbeitung.
Bei letzterem setzt der Actionbound von Norbert Wissing an. Die Schüler*innen filmen beispielsweise ad hoc Clips zu verschiedenen Exponaten, kommentieren anhand von Luftaufnahmen die Veränderungen von Landschaft und Lebensraum während der letzten 100 Jahren. «Der Actionbound löst nicht alle didaktischen Probleme», erklärt Wissing. Für schüchterne Schüler*innen könnten ausschliesslich output-orientierte Aufgaben ein Hemmnis darstellen, daher komme es auf eine gute Mischung der Aufgabenstellungen an. «Die Vorteile überwiegen klar», sagt Wissing. Seine Auswertungen haben ergeben, dass der Actionbound den Schüler*innen Aufgabenformate bereitstellt, denen sie sonst im Museum nicht, im Unterricht seltener begegnen. Und wie ihm Lehrpersonen zurückmeldeten, scheint das Prinzip «Bring Your Own Device» ein weiterer Motivationsfaktor zu sein. «Der Actionbound wird mich als Lehrperson sicherlich weiter begleiten. Man kann die Schüler*innen auch selbst solche Bounds erstellen lassen, dann ist der Zugang zu einem Thema noch individueller und intrinsischer.»
«Wir dürfen Digitalisierung und die Gamification nicht überhöhen», sagt Ruedi Küng, «aber sie ist eine Selbstverständlichkeit geworden, der wir gerecht werden müssen.» Zudem zeigten Ergebnisse der Gedächtnis- und Motivationsforschung, wie wichtig soziale Eingebundenheit beim Lernen sei. «Miteinander Wissen produzieren, sich selbst testen – das lässt sich in der App alles schlau verpacken.» Aber, und hier spricht der Biologe aus Küng heraus, «das Fach muss auch praktisch erlebt werden. Digitale Medien ersetzen die Arbeit in der Natur nicht. Ein Actionbound oder Augmented Reality kann sie ergänzen und Brücken zum Handeln schlagen.»
Text: Michael Hunziker