22.5.2024 | Hochschule für Soziale Arbeit, Institut Integration und Partizipation
Ein Gespräch über «Leichte Sprache»
Leichte Sprache – Informationsvermittlung und Ausdrucksform? Zwei verschiedene Perspektiven auf Leichte Sprache treffen aufeinander. Prof. Gabriela Antener und Schriftsteller Christoph Keller im Gespräch. Am 28. Mai 2024 fand in Olten eine Lesung und Buchvernissage zum Thema statt.
Prof. Gabriela Antener und Christoph Keller setzen sich unterschiedlich mit Leichter Sprache auseinander. Gemeinsam ist, dass dabei immer wieder Überraschendes hervorkommt.
An einem kühlen Freitagmorgen treffen sich Christoph Keller und Gabriela Antener online zu einem Gespräch. Christoph Keller ist Schriftsteller. Er hat zahlreiche Romane, Theaterstücke und Essays geschrieben, in der Schweiz und in den USA, wo er während 20 Jahren lebte. Gabriela Antener ist Professorin an der Hochschule für Soziale Arbeit. Auch sie ist Autorin zahlreicher Aufsätze und Fachbücher, worin es um barrierefreie und adressat*innengerechte Kommunikation geht. Beide sind auf ihre Weise mit Schreiben und Sprache vertraut, beide bringen Texte hervor, die Lesende vor Schwierigkeiten stellen können. Heute aber dreht sich das Gespräch um «Leichte Sprache», einer Sprachform, die Menschen mit eingeschränkten Lesekompetenzen ermöglicht, zu lesen und zu verstehen.
Interview
CK: Christoph Keller, Schriftsteller
GA: Prof. Gabriela Antener, Dozentin, Hochschule für Soziale Arbeit FHNW
HSA: Hochschule für Soziale Arbeit
HSA: Frau Antener, Herr Keller: Was macht Leichte Sprache «leicht»?
CK: Leichte Sprache ist im Prinzip eine erfundene Sprache, die auf deutscher Sprache basiert. Mit einer hohen Anzahl an Regeln sorgt sie dafür, dass wir etwas mit möglichst wenigen sprachlichen Mittel zum Ausdruck bringen können. Es ist eine Reduzierung der deutschen Sprache auf ein absolutes Minimum.
GA: Dass sie leicht ist, hat damit zu tun, dass sie leicht verständlich ist, sodass man sie gut verstehen und lesen kann. Sie soll Menschen, die Leseschwierigkeiten haben, einen einfachen Zugang ermöglichen, zunächst primär zu geschriebenen Texten, aber auch in mündlicher Form.
HSA: Wie kommt man dazu, in Leichter Sprache zu schreiben?
GA: Ich habe in meinen Kursen viel mit Personen zu tun, die Ausgangstexte aus sogenannter Schwerer Sprache oder Amtssprache übersetzten müssen, damit die Texte von den Adressat*innen verstanden werden können.
CK: Mich hat der Limmat-Verlag darauf angesprochen, ob ich nicht ein Buch machen möchte. Ich muss sagen, ich habe zuerst gezögert. Als Schriftsteller bin ich nicht unbedingt «leicht». Ich hatte mich dann mit anderen Schriftsteller*innen getroffen und sie jeweils gefragt, was sie von einem solchen Projekt halten würden und ob sie mitmachen würden. Und alle waren begeistert!
HSA: Das sind sehr unterschiedliche Ausgangslagen. Wie erlebt man das Schreiben in Leichter Sprache?
CK: Nach den üblichen Widerständen und Hindernissen beim Schreiben, habe ich festgestellt, was für eine Bereicherung Schreiben in Leichter Sprache ist. Einfach als Schriftsteller eine Story auf die Essenz herunterzubrechen. Ich denke, die Essenz ist das, was das Leichte ausmacht. Dass man am Ende einen kurzen – oder nicht so kurzen – Text hat, der trotzdem «schwebt».
GA: In Leichter Sprache zu schreiben ist sehr anspruchsvoll. Man muss mit wenigen Mitteln das richtige, korrekt sagen, kondensieren können. Man merkt sehr schnell, ob die Personen selbst überhaupt verstehen, was sie schreiben. Bei Amtstexten merkt man, dass es manchmal ein «Gesäusel» ist. Bei der Übersetzung fliegt es dann auf, dass man gar nicht so genau weiss, wie es konkret geregelt ist. In Leichter Sprache muss das, was man sagen möchte, hochpräzise sein. Erst dann erhält der Text auch eine gute Qualität.
CK: Man muss sich wirklich konzentrieren, was man mit dem Text sagen möchte. Ich habe beim Schreiben irgendwann festgestellt, was für eine Richtung ein Reduzieren auch hervorbringen kann. Mein Anspruch war es, nicht einfach eine Sammlung von Leichten Texten zusammenzutragen. Es ging darum herauszufinden, ob etwas dermassen heruntergeschraubtes Literatur sein kann. Mein Ziel war mit diesem Buch zu beweisen, dass man Literatur in Leichter Sprache machen kann. Das steht hinter dem Buch. Auch um der Leichten Sprache diesen «Geruch» wegzunehmen, dass es dann einfach banal ist. Und ich möchte ein wenig für mich behaupten, dass dies mit diesen tollen Schriftsteller*innen gelungen ist.
HSA: An wen richten sich Texte in Leichter Sprache?
GA: Das ist sehr divers und wird häufig unterschätzt. Die Öffentlichkeit oder Behörden gehen davon aus, dass alle Menschen lesen können, wenn sie aus der Schule kommen. Vielleicht nicht Fachtexte, aber dass sie doch vieles verstehen können. Wenn man sieht, was Amtsstellen manchmal an Informationen verlangen, dann ist allerdings ein Formular auszufüllen alles andere als einfach. Man versteht nicht so genau, was eigentlich gemeint ist. Es gibt einen hohen Anteil der Bevölkerung, der grosse Schwierigkeiten mit dem Lesen hat, ungefähr 20 Prozent, das sind wirklich viele. Es sind Menschen mit Beeinträchtigungen, Menschen die Deutsch als Zweitsprache sprechen, Menschen, die einmal lesen konnten, aber es wieder verlernt haben, oder solche, die noch nie viel Lesepraxis hatten. Die Gründe, warum Menschen nicht gut lesen können, sind extrem verschieden.
CK: Ich habe in meinem Nachwort, selbstverständlich auch in Leichter Sprache, relativ keck darauf geschlossen, dass 20 Prozent betroffen sind. Das sind zwei Millionen! Also etwas weniger. In Deutschland kommen sie auf 20 Millionen. Das ist ein riesiges Feld. Das grosse Problem, gerade bei einem Buch wie meinem ist, dass es eine grosse Schwelle gibt, eine Buchhandlung zu betreten. Es ist etwas paradox, dass diese Menschen eine Hemmschwelle haben, in die Buchhandlung zu gehen, um dieses Buch zu kaufen. An einen Platz, wo man sonst nie hingeht, weil es eben zu schwer ist. Was bei diesem Buch völlig neu ist, ist dass es ein Versuch ist, Leichte Sprache als Literatur zu präsentieren.
GA: Und es macht auch denen Spass macht, die nicht zwingend auf Leichte Sprache angewiesen sind!
CK: Ja! Es ist ein Sprachexperiment. Als Schriftsteller war es genau das, was mich zu faszinieren begonnen hat. Aus dem kann man schliessen, dass auch andere Schreibende oder Literaturinteressierte sich dafür interessieren können.
GA: Das heisst aber nicht, dass alles in Leichter Sprache sein muss. Es muss genug von allem geben, in Leichter Sprache. Eben auch Literatur und nicht nur Behördentexte. Damit man auch an der Gesellschaft teilhaben kann.
HSA: Was bewirkt Leichte Sprache?
CK: Mit Leichter Sprache schafft man eine gewisse Barrierefreiheit für Literatur. Was natürlich eine gewisse Unmöglichkeit ist. Wenn sie an eine beliebige Lesung gehen, dann ist diese in der Sprache der Autor*in und hat absolut nichts mit Leichter Sprache zu tun.
GA: Ich glaube, im Zusammenhang mit Sprache stellt sich die Frage, was man möchte und wen man anspricht. Literatur muss nicht den Anspruch haben, immer alle anzusprechen. Man schreibt für verschiedene Publika und entsprechend wählt man eine Sprache. Ich glaube, es wäre unklug, wenn man sich auf eine bestimmte Form festlegen würde. Genauso wenig wie es in der Literatur eine möglichst komplexe Sprache sein muss, muss es auch nicht eine möglichst einfache Sprache sein. Es gibt ein Kontinuum. Wichtig wäre, dass alles vorkommt, sodass es eine gewisse Reichhaltigkeit gibt. Menschen mit unterschiedlichen Kompetenzen und Interessen sollen sich mit verschiedenen Formen auseinandersetzen können.
HSA: Was löst Leicht Sprache aus, bei Betroffenen, Angehörigen oder Autor*innen oder Amtsstellen?
GA: Viele Betroffene beginnen, sich beim Lesen für die Themen zu interessieren, mit denen sie sich zuvor nicht auseinandergesetzt haben. Sie merken, dass sie lesen können. Es ist für die Lesenden in einem gewissen Grad ein Ermächtigungsprozess. Sie beginnen, Ansprüche an Texte zu haben. Es ist dann nicht mehr so, dass sie sich als «leseunfähig» wahrnehmen, sondern dass sie zu formulieren beginnen «der Text ist nicht gut verständlich geschrieben». Das ist eine Umkehr und gibt ihnen zum Teil auch die Möglichkeit einzufordern, dass besser verständlich, Leicht, geschrieben wird.
CK: Ich bin gespannt, ob sich die ein*e oder andere Autor*in jetzt dann plötzlich mit einem kurzen Roman in Leichter Sprache vorzeigt. Ich hatte mir schon überlegt ein nächstes Buch sogar zweifach zu schreiben, in der «normalen» Sprache und parallel dazu in der Leichten Sprache. Aber ich habe das insofern ein wenig vermasselt, indem das Buch, das ich schreiben wollte, ein Sprachexperiment geworden ist, worin ich die Sprache vielleicht als Alberne Sprache bezeichnen würde. Wirklich ein Sprachexperiment, worin ich begonnen habe, mit der deutschen Sprache zu spielen. Nicht unbedingt Wortspiele oder so, sondern wirklich auch probierte die Sprache zurückzunehmen, zu reduzieren, zu brechen. Aber es hat mit Leichter Sprache leider gar nichts zu tun. Ob ich es publiziere oder für mich behalte, ist noch herauszufinden.
HSA: Es bleibt spannend. Ich freue mich schon auf die Lesung vom 28. Mai 2024 in Olten. Vielen Dank für das Gespräch!
Leichte Sprache – Informationsvermittlung und Ausdrucksform? Zwei verschiedene Perspektiven auf Leichte Sprache treffen aufeinander. Als Mittel zur Barrierefreiheit ist Leichte Sprache für eine selbstbestimmte Teilhabe an unserer Gesellschaft zentral. Als Ausdrucksform lassen sich Geschichten erzählen und sie eröffnet damit einen Zugang zu kulturellen Erzählungen. Eine Auseinandersetzung mit Leichter Sprache lohnt sich für alle. Sie sensibilisiert uns für unterschiedliche Lesebedürfnisse und kann eine Quelle der Inspiration sein.
Am 28. Mai 2024 fand in Olten eine Lesung und Buchvernissage statt, wo sich die Gelegenheit bot, sich selbst mit Leichter Sprache auseinanderzusetzen.
Weitere Informationen zu Leichter Sprache
Buch «Und dann klingelst du bei mir» (Limmat Verlag) von Christoph Keller
Buch «Leichte Sprache. Grundlagen, Diskussionen und Praxisfelder»
Fachseminar Leichte Sprache
www.barrierefreie-kommunikation.ch
Beitrag «Klar und verständlich: Leichte Sprache in Literatur und Alltag»