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25.1.2024 | Hochschule für Soziale Arbeit

«Die Freiform fördert den Impuls zu handeln»

Professor Ulf-Daniel Ehlers aus Karlsruhe ist Professor für Bildungsmanagement und lebenslanges Lernen und Scientific Director der Forschungsgruppe NextEducation. Er erforscht, was Hochschulen tun müssen, um ihre Studierenden fit für die Zukunft zu machen. Die neue Studienform «Freiform» an der Hochschule für Soziale Arbeit FHNW ist für ihn eine konsequente Umsetzung der Forschung zur Zukunft der Hochschule. Im Interview erklärt er, warum.

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Prof. Ulf-Daniel Ehlers, Duale Hochschule Baden-Württemberg (Foto: zVg)

Herr Professor Ehlers, wie stehen Sie zur Freiform?

Mit meinem Team erforsche ich seit etwa sieben Jahren das Thema «Zukunft der Hochschulbildung». Einer unserer wichtigsten Arbeitsbereiche sind dabei die «Future Skills», also Kompetenzen, die in der Zukunft gebraucht werden. Denn die Studierenden müssen am Ende ihrer Ausbildung befähigt sein, die Zukunft zu gestalten. Und genau das ist es, was unsere Verbindung zur Fachhochschule Nordwestschweiz und den Freiform-Macher*innen herstellt: Als wir im Rahmen unserer Forschung auf die Freiform-Community gestossen sind – beziehungsweise sie auf uns – war ich beeindruckt, wie sehr dort das Thema Zukunftskompetenzen im Mittelpunkt steht. Seitdem sind wir in sehr gutem Kontakt und versuchen, in der Forschung und der Lehre miteinander in die Zukunft zu gehen.

Was sind denn Future Skills genau?

Unser heutiges Bildungssystem folgt der Vorstellung, dass wir möglichst viele Menschen mit möglichst klar standardisierten Qualifikationen auf einen klar gegliederten Arbeitsmarkt vorbereiten müssen. Gesellschaftliche Megatrends, wie zum Beispiel Digitalisierung und Globalisierung, führen aber dazu, dass die Veränderungen immer unvorhersehbarer werden. Das betrifft etwa die Wirtschaft oder die Politik, aber auch viele andere Lebensbereiche. Wir können jetzt also noch gar nicht wissen, welche Herausforderungen 2030, 2040 oder 2050 auf uns zukommen. Die Future Skills sind der Versuch, diejenigen Handlungskompetenzen zu finden, die für die Zukunftsgestaltung besondere Bedeutung haben.

Kann man jemanden überhaupt auf das Unvorhergesehene vorbereiten?

Das ist gerade das Besondere an Handlungskompetenzen. Sie sind keine Qualifikationen im eigentlichen Sinne, also keine wieder abrufbaren, reproduzierbaren Tätigkeiten. Sie stellen vielmehr eine Bereitschaft dar. Wer Handlungskompetenzen erworben hat, verfügt nicht nur über die Fähigkeit, in komplexen, unvorhergesehenen Situationen zu handeln, sondern auch über den entsprechenden Antrieb. Die persönliche Einstellung bzw. die Motivation zu handeln gehört genauso zu einer Kompetenz wie Wissen und Erfahrung. Denn: Viele der Berufe, in denen die jungen Menschen arbeiten werden, gibt es noch gar nicht. Das bedeutet, dass wir sie nur zu Expertinnen und Experten in ihrer eigenen fachlichen Entwicklung ausbilden können.

Heute ist unser Bildungssystem vor allem auf Standardisierung ausgerichtet – aber das Gegenteil davon sind eigentlich begünstigende Bedingungen für kompetenzorientiertes Lernen.

Prof. Ulf-Daniel Ehlers

Vermitteln die Hochschulen schon solche Handlungskompetenzen?

Die Illusion, dass Lehren zu Lernen führt, die ist ja schon länger ausgeräumt. Und trotzdem verhalten wir uns in den Hochschulen oftmals noch so: Wir bringen den Studierenden sehr gut bei, was sie wissen müssen. Wir berücksichtigen auch, wie wichtig Erfahrung ist, zum Beispiel durch Praktika. Aber es gibt eben noch diesen entscheidenden dritten Faktor, der für unsere persönliche und berufliche Entwicklung wichtig ist – und das ist der Impuls, die Bereitschaft, zu handeln. In der Freiform finden wir diesen Faktor bereits konsequent umgesetzt.

Inwiefern spiegeln sich in der Freiform diese Future Skills wider?

Die Freiform ist insgesamt eigentlich eine sehr reine, prototypische Umsetzung dessen, was ich gerade beschrieben habe: Die Studierenden gestalten ihr Curriculum und ihre Lerngegenstände basierend auf ihren eigenen Vorstellungen, die sich natürlich über die Semester hinweg weiterentwickeln. Dabei werden sie von ihren Dozierenden als auch von Praxisvertreter*innen begleitet. Auf diese Weise schärfen sie ihren Blick dafür, was für sie gemäss ihrer eigenen Werthaltung relevant ist. Sie werden bildlich gesprochen in einen Leerraum hineingesetzt, dessen Rahmen zwar existiert, aber dessen Inhalt sie konkretisieren müssen. Sie müssen im sozialen Dialog begründen: Warum ist das jetzt wichtig, was ich da lernen will? Im Trialog mit Vertreter*innen der Hochschule und der Praxis werden sie sogar in die Bewertung ihrer eigenen Leistungen miteinbezogen. Und genau in dieser Beteiligungsorientierung liegt der starke Bezug zu den Future Skills.

Besteht nicht die Gefahr, dass Studierende bei diesem Ansatz Themen, die sie nicht interessieren, einfach abwählen?

Diese Gefahr bestünde dann, wenn es keine Instanz gäbe, die die Studierenden begleitet. Die gibt es aber. Und zwar in Form der Dozierenden, der Praxisvertreter und anderen Studierenden, die konsequent immer wieder zusammenkommen und sich genau über diese Frage austauschen. Es wird in der Freiform zwar kein von extern vordefinierter Katalog gelehrt und gelernt, jedoch muss immer das Kompetenzprofil der Hochschule für Soziale Arbeit FHNW der Bezugspunkt für die selbstgesteuerte Kompetenzbildung und die Auseinandersetzung mit Fachwissen sein. Studierende sind zudem herausgefordert, das Gelernte in Prüfungen und in den sozialen Aushandlungsräumen sinnvoll und ganzheitlich zu erklären. Dadurch wird vermieden, dass wesentliche Aspekte übersehen werden.

Die persönliche Einstellung bzw. die Motivation zu handeln gehört genauso zu einer Kompetenz wie Wissen und Erfahrung.

Prof. Ulf-Daniel Ehlers

Was bedeutet dieses Modell für die Dozierenden?

Wir müssen weg von der Vorstellung, dass allwissende Dozierende den nichtswissenden Studierenden sagen, was sie zu wissen haben. Die Dozierenden müssen das Ruder aus der Hand geben und zu Coaches, Mentor*innen und sozialen Begleiter*innen werden. Das ist eine grosse Aufgabe, denn heute ist unser Bildungssystem vor allem auf Standardisierung ausgerichtet – aber das Gegenteil davon sind eigentlich begünstigende Bedingungen für kompetenzorientiertes Lernen. 

Und welche Herausforderungen bringt das für die Studierenden mit sich?

Im herkömmlichen Hochschulsystem wissen Studierende oft gar nicht, welche Fragen sie wirklich interessieren. Sie sind es gewohnt, vom ersten Tag an mit einem Curriculum versorgt zu werden, das bereits klar strukturiert, wo sie in drei Jahren an einem Donnerstag sitzen und was sie lernen werden. In der Freiform muss ich als Studierende oder Studierender selber der Motor für meinen Lernprozess sein. Ich kann mich also nicht zurücklehnen und sagen «ich werde jetzt mal belehrt». Lernen findet nur dann statt, wenn ich auch aktiv selbst lerne.

Weitere Informationen

In der Freiform ist (fast) alles anders. Erfahren Sie mehr über diese innovative und zukunftsgerichtete Studienform.

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