Das SCALA-Forschungsprojekt
Warum?
Kinder und Jugendliche aus tieferen Sozialschichten und/oder mit Migrationshintergrund sind im Schweizer Bildungssystem nach wie vor benachteiligt: Lehrpersonen haben gegenüber diesen Schülerinnen und Schülern oftmals tiefere Leistungs- und Anstrengungserwartungen, auch wenn diese gleich hoch sind wie die von Kindern aus sozial besser gestellten Familien und/oder ohne Migrationshintergrund. Die Erwartungen der Lehrpersonen können weitreichende Folgen für die Kinder und Jugendlichen haben, denn sie beeinflussen Leistungen, Sozialverhalten, Motivation und auch die Übertrittschancen in die Sekundarstufe I entscheidend.
Wer?
Am SCALA-Forschungsprojekt haben insgesamt 69 Primarlehrpersonen und 1’121 Schülerinnen und Schüler (4.-6. Klasse) sowie deren Eltern aus sechs verschiedenen Deutschschweizer Kantonen (AG, BE, LU, SO, SG, ZH) teilgenommen.
Wie?
Das SCALA-Projekt ist eine Interventionsstudie mit einer Vorher-Nachher-Messung mit Vergleichsgruppe. Die Teilnahme an der Studie war freiwillig. Lehrpersonen, Schülerinnen und Schüler sowie deren Eltern füllten zu Beginn und am Ende des Schuljahres 2016/17 Fragebögen aus (erste Erhebung: September bis Oktober 2016, zweite Erhebung: Mai bis Juni 2017). Die Schülerinnen und Schüler absolvierten zudem jeweils einen standardisierten Leistungstest in Deutsch und Mathematik. Zwischen den beiden Erhebungszeitpunkten haben 28 gemäss Zufallsprinzip ausgewählte Lehrpersonen an einer Weiterbildung teilgenommen. Die übrigen 41 Lehrpersonen besuchten keine Weiterbildung (Kontrollgruppe). So konnte die Wirkung der Weiterbildung überprüft werden.
Was?
In der Weiterbildung wurden die Lehrpersonen zu Fragen der Chancengerechtigkeit im Schulkontext sensibilisiert und mit einem Coaching bei der Förderung von sozial benachteiligten Schülerinnen und Schülern unterstützt. Das Angebot basierte auf Konzepten der interkulturellen Pädagogik zu heterogenen Unterrichtssituationen sowie wirksamer Lehrpersonenweiterbildung. Folgende Fragen wurden überprüft: Inwiefern sind die Erwartungen der Lehrpersonen in der Deutschschweiz gegenüber Kindern aus tieferen Sozialschichten oder Kindern mit Migrationshintergrund verzerrt? Welche Wirkung haben die Erwartungen der Lehrpersonen auf die Leistungen, das Verhalten und die Motivation der Schülerinnen und Schüler? Gelingt es, die Erwartungen der Lehrpersonen durch die SCALA-Weiterbildung so zu verändern, dass die Schülerinnen und Schüler ihre Leistungen in Deutsch und Mathematik unabhängig von ihrer sozialen Herkunft und dem Migrationshintergrund entwickeln können?
Aktuelle Ergebnisse
Erwartungen von Lehrpersonen sind nicht neutral
Im Rahmen der Studie gaben die teilnehmenden Lehrpersonen eine Einschätzung ab, was für Leistungen sie von den Kindern erwarteten. Die Ergebnisse zeigen: Auch wenn Kinder gleich gute Leistungen erbringen, erwarteten Lehrpersonen von Kindern mit Migrationshintergrund schlechtere Leistungen als von solchen ohne Migrationshintergrund. Das Gleiche war der Fall, wenn Kinder aus tieferen Sozialschichten stammten. In Bezug auf das Geschlecht waren die Unterschied fachspezifisch. Dort erwarteten Lehrpersonen höhere Leistungen von Mädchen im Fach Deutsch und höhere Leistungen von Buben im Fach Mathematik, auch wenn ihre Leistungen gleich waren. Die Erwartungen der Lehrpersonen waren somit je nach kulturellem und sozialem Hintergrund sowie nach Geschlecht der Kinder verzerrt. Diese verzerrten Erwartungen bezogen sich nicht nur auf die Leistungen der Schülerinnen und Schüler, sondern fanden sich auch in Bezug auf die von der Lehrperson eingeschätzte Anstrengungsbereitschaft oder Unterrichtsstörungen der Schülerinnen und Schüler.
Lehrpersonenerwartungen sind bei den Schülerinnen und Schülern selbsterfüllend
Die Leistungen, die selbstberichtete Anstrengungsbereitschaft und das Ausmass an Unterrichtsstörungen der Schülerinnen und Schüler variierten je nach Erwartungshaltung der Lehrpersonen. Waren die Erwartungen der Lehrpersonen an Leistung und Anstrengungsbereitschaft von bestimmten Kindern hoch, verbesserten sich die Leistungen und die Anstrengungsbereitschaft dieser Kinder. Erwarteten die Lehrpersonen häufige Unterrichtsstörungen, nahm das Störverhalten dieser Kinder im Unterricht während des Schuljahres zu. Das heisst, die Erwartungen der Lehrpersonen wirkten bei den Kindern im Sinne einer selbsterfüllenden Prophezeiung auf ihre Leistungen und ihr Verhalten.
Zuschreibungen von Lehrpersonen an den Leistungserfolg sind wichtig
Die Art und Weise, wie Lehrpersonen den schulischen Erfolg ihrer Schülerinnen und Schüler erklärten (Attributionen), beeinflusste deren Deutsch- und Mathematikleistungen. Schrieben die Lehrpersonen schulische Erfolge zeitlich stabilen Ursachen zu wie Fähigkeiten oder Aufgabenschwierigkeit, nahmen die Leistungen der Kinder stärker zu als bei zeitlich variablen Ursachenerklärungen wie Glück oder Anstrengung. Vermittelt wurde dieser Effekt durch die Leistungserwartungen der Lehrpersonen. Gleichzeitig hing die Art der Attributionen der Lehrpersonen von der sozialen Herkunft der Schülerinnen und Schüler ab. So wurden gute Deutsch- und Mathematikleistungen von Kindern aus sozial weniger privilegierten Familien weniger mit zeitlich stabilen Ursachen wie beispielsweise hohen Fähigkeiten erklärt. Vielmehr nahmen die Lehrpersonen an, dass diese Schülerinnen und Schüler Glück oder sich angestrengt hatten.
Fairere Lehrpersonenerwartungen durch die SCALA-Weiterbildung
Analysen belegen die Wirksamkeit der Weiterbildung: Die Leistungserwartungen der Lehrpersonen, die an der Weiterbildung teilgenommen hatten, waren nach der Weiterbildung im Unterschied zur Kontrollgruppe nicht mehr durch den Migrationshintergrund der Schülerinnen und Schüler verzerrt. Durch die Weiterbildung entwickelten die Lehrpersonen also fairere und leistungsangemessenere Erwartungen gegenüber Schülerinnen und Schüler mit einem Migrationshintergrund.
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Hier finden Sie weitere Publikationen aus dem SCALA-Forschungsprojekt.
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