In der Sozialhilfe verfangen
Verschuldete Personen fallen viel häufiger wieder in die Sozialhilfe zurück als solche ohne Schulden. Das zeigen erste Ergebnisse aus einer aktuellen Studie der Hochschule für Soziale Arbeit FHNW. Sie erhebt erstmals schweizweit Daten zur Lebenslage von verschuldeten Sozialhilfeempfangenden mit dem Ziel, neue Hilfsangebote zu entwickeln.
Schulden sind nicht grundsätzlich etwas Schlechtes. Man macht zum Beispiel Schulden, um sich ein Eigenheim zu kaufen oder sich bei der Arbeit selbstständig zu machen. Solange ein geregeltes Einkommen vorhanden ist, können die Schulden nach und nach abbezahlt werden. Aus den Schulden entsteht erst ein Problem, wenn sich die Lebensumstände plötzlich verändern, beispielsweise durch einen Jobverlust, gescheiterte Selbstständigkeit, eine Scheidung, eine schwere Krankheit oder durch einen Unfall. Dann entstehen neue, zusätzliche finanzielle Belastungen und das Einkommen wird geringer oder fällt ganz weg. So nehmen die Betroffenen ihre Schulden aus dem «normalen» Leben mit in die Sozialhilfe und werden sie in dieser Phase nicht mehr los. Denn wer Sozialhilfe bezieht, erhält so viel Geld, wie zum Leben benötigt wird. Es bleibt in der Regel nichts übrig, das den Geldgebern zurückbezahlt werden kann.
Zu wenig Anreize, um wieder erwerbstätig zu werden
Das Ziel von Sozialdiensten ist es nun, die Betroffenen wieder in den Arbeitsmarkt einzugliedern und sie dadurch von der Sozialhilfe abzulösen. Dieser Prozess stellt sich aber oft als schwierig heraus, denn für die verschuldeten Personen gibt es wenig Anreize, wieder erwerbstätig zu werden. Sobald sie mehr Einkommen als das betreibungsrechtliche Existenzminimum haben, droht ihnen die sofortige Betreibung. Das heisst, es gibt keine Aussicht auf ein höheres verfügbares Haushaltseinkommen.
Erste schweizweite Datenerhebung zu verschuldeten Haushalten in der Sozialhilfe
Um diesen Menschen zu helfen, möchte eine aktuelle Studie der Hochschule für Soziale Arbeit FHNW herausfinden, welche Angebote und Hilfeleistungen verschuldete Sozialhilfeempfangende brauchen, damit sie in absehbarer Zeit wieder ein selbstbestimmtes Leben führen können. Gleichzeitig wird auch untersucht, was die Sozialarbeitenden benötigen, um ihre verschuldeten Klientinnen und Klienten bei der Ablösung aus der Sozialhilfe gezielter unterstützen zu können.
«Speziell an diesem Projekt ist, dass zum ersten Mal schweizweit Daten über die Schuldensituation von Haushalten in der Sozialhilfe erhoben werden», sagt Dr. Christoph Mattes, Projektleiter und Dozent an der Hochschule für Soziale Arbeit FHNW. Bislang gebe es nämlich nur wenig gesicherte Erkenntnisse darüber, wie viele Haushalte in der Sozialhilfe Schulden haben, wer die Geldgeber sind und wie die Sozialhilfe mit der Schuldensituation ihrer Klientel umgeht.
Ergebnisse aus der Befragung von 134 Sozialdiensten
Es besteht Handlungsbedarf und es braucht neue Lösungswege für verschuldete Sozialhilfeempfangende. Das zeigen die Ergebnisse aus dem ersten Teilprojekt: Rund zwei Drittel der Sozialhilfeempfangenden sind nämlich verschuldet. Zudem fallen bereits verschuldete Personen viel häufiger wieder in die Sozialhilfe zurück und haben oft schon eine Betreibung oder Lohnpfändung vor dem Sozialhilfeantrag hinter sich. An dieser ersten Datenerhebung beteiligten sich 134 Sozialdienste aus allen Kantonen der Schweiz. Sie befragten ihre Klientinnen und Klienten, die im Zeitraum vom 1. April bis 30. Juni 2019 einen Sozialhilfeantrag gestellt haben, zu ihrer aktuellen Lebenslage.
Wie geht es weiter?
In der zweiten Projektphase von Juni bis Dezember 2020 werden nun einzelne besonders schwierige Fälle von verschuldeten und nicht verschuldeten Sozialhilfeempfangenden ausgewählt und genauer untersucht. «Wir möchten herausfinden, worin sich diese Fälle unterscheiden, um anschliessend passende Hilfeangebote entwickeln zu können», sagt Mattes. Dazu werden vertiefende Interviews mit den Sozialhilfeempfangenden und mit den betreuenden Sozialarbeitenden durchgeführt.
Das vom Schweizerischen Nationalfonds finanzierte Projekt wird während der gesamten Dauer von Fachpersonen aus der Sozialhilfe- und Schuldenberatungspraxis begleitet. Nach jedem Teilprojekt diskutiert das Forschungsteam die Ergebnisse mit den Praxisvertretenden und bespricht, welche Auswirkungen diese auf den weiteren Forschungsprozess haben und was sie für die Praxis bedeuten.
Die abschliessenden Resultate und Schlussfolgerungen aus dem Projekt werden an den nächsten Oltner Verschuldungstagen vom 11. und 12. November 2021 präsentiert und diskutiert.
Weitere Informationen zum Projekt
«In der Sozialhilfe verfangen: Hilfeprozesse bei Armut, Schulden und Sozialhilfe»