Die Forschungs- und Entwicklungsarbeit «Cooperative Lernkultur» ist Motor für und zugleich Ergebnis von unterschiedlichen Entwicklungsimpulsen.
Vor dem Hintergrund einer sich wandelnden Arbeitswelt sind mehr denn je innovative Konzepte zur Weiterentwicklung unternehmensinterner Strukturen, des betrieblichen Umfelds und der kooperativen Befähigung von Mitarbeitenden und Führungskräften erforderlich. Innovative Lernkulturen können überall dort entstehen, wo Unternehmen Strukturen schaffen, die Menschen durch eine Auseinandersetzung mit ihren Aufgaben und die kooperative Auseinandersetzung mit Anderen selbstsorgendes Lernen ermöglichen. In diesem Sinne sind in Zusammenarbeit mit dem Coop Trainingszentrum bisher drei Weiterbildungsformate entstanden, die darauf zielen, die innovative Lernkultur des Unternehmens weiterzuentwickeln.
Cooperative Lernkultur im Coop Campus
Um Bildung im Medium beruflicher Arbeitsprozesse zu ermöglichen, unterstützt die Professur für Erwachsenenbildung und Weiterbildung die Entwicklung selbstsorgender, kooperativer Lernkulturen. Die Entwicklung einer derartigen Ermöglichungskultur im Rahmen von Unternehmen ist allerdings an Bedingungen gebunden, die sich auf drei lernkulturellen Ebenen verorten lassen:
Ebene 1: Die Lehr-Lern-Situation
Ebene 2: Die lernförderliche Rahmung von Lehrveranstaltungen und Lernaktivitäten
Ebene 3: Weiterbildungskultur des Unternehmens
Im Rahmen des Forschungs- und Entwicklungsprojekt Cooperative Lernkultur wurden prototypische Kursveranstaltungen und institutionelle Schlüsselsituationen (Schäffter, 2003) mit Hilfe von Situationsanalysen empirisch erforscht. Auf dieser datenbasierten Grundlage wurden zentrale Spannungsfelder identifiziert und in spezifischen Weiterbildungsformaten einer didaktisch-methodischen Bearbeitung zugeführt.
Der gesamte Forschungs-, Entwicklungs- und datenbasierte Professionalisierungsprozess dient zugleich als Matrix für die Transformation hin zu einer entwicklungsoffenen cooperativen Lernkultur im Coop Campus.
Cooperative Lernkultur
Teilprojekte
Das «Erkundungssetting» ist ein Angebot, dass forschungsinteressierten Weiterbildner*innen bei Coop die Möglichkeit eröffnet, ethnografische Vignetten in den Lern- und Entwicklungsräumen des Betriebs aufzuspüren und zu erkunden. Im Zentrum steht dabei ein Perspektivenwechsel mit dem Ziel, die Weiterbildungsaktivitäten von der Praxis (Verkaufsstelle) informieren zu lassen. Diese Erkundungs‐ und Forschungsarbeit ermöglicht nicht nur das Auffinden neuer bislang informeller Lernorte, sondern eröffnet darüber hinaus neue Perspektiven für die eigene Rolle als Weiterbildner*in im Sinne einer Lernbegleitung vor Ort.
Mit dem Coop Summercamp2021 wurde auf Basis der didaktisch-methodischen Entwicklungslogik des selbstsorgenden Lernens (Klingovsky & Kossack, 2007) eine digitale Selbstlernarchitektur realisiert. In dieser komplexen, multimedialen Lernumgebung hatte die Coop Trainer*innen-Equipe über zwei Monate hinweg Gelegenheit, sich auf individuellen Lernwegen und in kooperativen Gefässen mit den Strukturen, Bedingungen und Handlungsoptionen mit Fragen des selbstorganisierten Lernens und der neuen professionellen Grundfigur «Lernbegleitung» auseinanderzusetzen.
Die spezifisch für das cooperative Lernumfeld am Coop Campus entworfene Selbstlernarchitektur eröffnet im distance-learning unterschiedliche Lernfelder und verschiedene individuelle Lernzugänge. Sie ermöglicht eine zeit- und ortsunabhängige Auseinandersetzung mit den Phänomenen selbstorganisiertes Lernen und Lernbegleitung. Zugleich ist das Coop-Summercamp2021 wesentlich an den subjektiven Lerninteressen der Teilnehmenden orientiert: So wählen die Teilnehmenden ihre eigenen Lernfelder, organisieren sich in Tandems oder Gruppen und speisen ihre eigenen Entwicklungsarbeiten als Lernherausforderungen für die anderen Teilnehmenden wieder zurück in die Lernumgebung. Die hieraus entstehenden lernenden Praxisgemeinschaften reichern die hybriden Lernarchitektur mit ihren Aktivitäten und Impulsen stetig an.
Unter der Prämisse des kooperativen und zugleich selbstverantwortlichen Lernens ermöglicht das Coop-Summercamp2021 die Auseinandersetzung mit inhaltlichen Wissensstrukturen und verschiedenen Lernpraktiken des selbstorganisierten Lernens sowie eine reflexive Auseinandersetzung mit ihrem eigenen Lernen (und den mit dem selbstorganisierten Lernen verbundenen Fragen und Problemstellungen). Die Arbeit an den Bedingungen und Strukturen für die Weiterentwicklung einer cooperativen Lernkultur war im Summercamp2021 auf diese Weise zugleich mit einer individuellen Professionalisierung als Lernbegleiter*in verbunden.
In diesem Jahr wird die Auseinandersetzung mit konkreten Kurskonzeptionen («Drehbücher») ins Zentrum gestellt. Die gemeinsame Arbeit dient weiterhin der individuellen und kollektiven Professionalisierung als Lernbegleiter*in. Zugleich steht die Lernkultur am Coop Campus in enger Wechselbeziehung zur Unternehmensphilosophie und dem unternehmerischen Verständnis des Lernens und der Entwicklung aller Mitarbeitenden.
Vorhandene Kurskonzeptionen müssen beides leisten: höchsten didaktisch-methodischen Qualitätsstandards genügen und mit dem Leitbild des Unternehmens korrespondieren. In sogenannten Drehbuch-Werkstätten werden derartige Selbstverständigungsprozesse initiiert, Kurskonzeptionen werden hier mit dem Leitbild des Unternehmens verbunden und damit neue Perspektiven auf das unternehmerische Lernverständnis, das Bild von den Teilnehmenden sowie die Rolle der Lernbegleitung eröffnet. Die Arbeit bildet damit die Grundlage für die konzeptionelle Überarbeitung und systematische Weiterentwicklung der vorhandenen «Drehbücher». In der kollektiven Auseinandersetzung werden neue Handlungsoptionen für die Gestaltung einer selbstorganisierten Lernkultur gewonnen und ein gemeinsames Verständnis dafür geschaffen, was Lernbegleitung in der cooperativen Lernkultur bedeuten kann.
Auf der Grundlage des aktuellen Leitbildes und in der Beschäftigung mit konkreten Kurskonzeptionen konnten für die Weiterentwicklung der cooperativen Lernkultur bedeutsame Themenfelder erschlossen werden wie
Entwicklung von Handlungskompetenz
Kompetenzentwicklung sichtbar machen
Rolle der Lernbegleitung
Die dafür entwickelte Lernarchitektur des Street-Food-Festivals 2023 wurde als didaktisch-methodischer Doppeldecker angelegt. Einerseits stand die inhaltliche Beschäftigung mit den Themenfeldern im Zentrum. Andererseits wurden für das Unternehmen passgenaue Formate entwickelt mit dem Ziel, Lernbegleitung in der cooperativen Lernkultur strukturell zu verankern.
Wissensplattform «Sushi-Bar»
Eine kollaborativ zu entwickelnde Wissensplattform auf MS-Teams. «Wissenshäppchen» in Form von kurzen, einfachen Podcasts oder unterstützenden Beiträgen aus Wissenschaft und Praxis werden gemeinsam produziert, gesammelt und allen Weiterbildner*innen zur Verfügung gestellt. Ziel ist es, im Prozess bedeutsam gewordenes Wissen zugänglich zu machen und anzureichern.
Workshop «Auf Tuchfühlung»
Ein kurzes massgeschneidertes Weiterbildungsformat, welches Weiterbildner*innen zur Auseinandersetzung mit dem Coop Campus Leitbild einlädt. Inhaltlich orientiert an sogenannten Fokusthemen wie zum Beispiel «Annäherung an die cooperative Lernkultur für Neueinsteigende».
Multifunktionales Angebot «Lernbegleitung»
Beratung, Boxenstopp oder Safe-Space. Das Angebot Lernbegleitung hat zum Ziel, die individuellen und konzeptionellen Entwicklungsarbeiten mit Blick auf das Coop Campus Leitbild zu begleiten und mit neuen Perspektiven anzureichern. Auf Grundlage der in Bearbeitung befindlichen Drehbücher setzen sich Entwickler*innen und Lernbegleitung gemeinsam mit den darin aufgeworfenen Fragestellungen auseinander. Diese werden ausgehend vom Coop Campus Leitbild und mit Blick auf die neue Grundfigur der professionellen Lernbegleitung diskutiert, weiterentwickelt und in die weitere Bearbeitung eingebunden.
Moderation «Soundingboard»
Prozessbegleitende Moderation eines Treffens von Entwickler*innen und Umsetzer*innen zur Drehbuch-Überarbeitung. Insbesondere im Anschluss an ein Lernbegleitungsgespräch übernimmt das Soundingboard an dieser wichtigen Schnittstelle die Aufgabe, die Diskussion zu informieren und auf einer didaktisch-methodischen Metaebene zu moderieren.
Vor dem Hintergrund der bisherigen Auseinandersetzung mit bedeutsamen Themenfeldern und angesichts der erfolgreichen Verankerung von Formaten der Lernbegleitung, werden Entwicklungslinien herausgearbeitet, die für die Weiterentwicklung der cooperativen Lernkultur bedeutsam sind:
Individuelle Entwicklungslinien
Aspekte der cooperativen Lernkultur und deren Weiterentwicklung
Kursoptimierungen durch Situationsanalysen
Für die individuellen Entwicklungslinien bleiben die strukturell verankerten Formate der Wissensplattform und das multifunktionale Angebot der Lernbegleitung zentral. Im Workshopformat «Auf Tuchfühlung» werden unter anderem die Fokusthemen «Entwicklung von Handlungskompetenzen entlang generativer Themen» oder auch «Herausforderung Lernbegleitung in den Systemkursen» bearbeitet.
Pilotierte Kurse werden mit dem Instrument der Situationsanalyse begleitet (Details zur Methode unten im Akkordeon). Die Situationsanalyse als Forschungsinstrument und Form der wissenschaftlichen Begleitung durch die Professur für Erwachsenenbildung und Weiterbildung nimmt die didaktisch-methodische Konzeption von Drehbüchern und deren Umsetzung im Kursraum in den Blick. Sie ermöglicht den datenbasierten Austausch über Qualitätsdimensionen und eröffnet neue Perspektiven auf makro- meso- und mikrodidaktischer Handlungsebene (vgl. Tietgens 1991). Sie weist auf Risiken und Chancen für die weitere Entwicklungsarbeit der cooperativen Lernkultur hin.
Im Rahmen zweier Weiterbildungstage kommen alle Weiterbildner*innen bei Coop zusammen und setzen sich datenbasiert und mit Blick auf die unterschiedlichen Entwicklungslinien mit der cooperativen Lernkultur auseinander und entwickeln diese gemeinsam weiter.
Immer wieder beeindruckend ist die analytische Genauigkeit der Prozessbegleitung, die zu komplex arrangierten Lehr- und Lernarrangements führt. Bisheriger Höhepunkt war sicherlich die digital angelegte Selbstlernumgebung Summercamp 2021, in der die ganze Coop Trainer*innenequipe aktiv zur Mitgestaltung eingeladen war und in der sich vielschichte Aushandlungsräume eröffnet haben. Gerade die Mischung aus kritisch-konstruktiven Impulsen, fundierten Analysen und innovativen Ideen macht die Zusammenarbeit für uns so wertvoll.
Benni Lurvink, Leiter Ausbildung national, Coop Schweiz
Die Methode «Situationsanalyse» im Detail
Das methodische Instrumentarium der Situationsanalyse (vgl. Clarke 2012, Klingovsky 2016) eignet sich in besonderer Weise, um Einsichten in die «gelebte» Kultur des Lehrens und Lernens in der Erwachsenen- und Weiterbildung zu gewinnen.
Das Forschungs- und Entwicklungsprogramm «Empirie im Kursraum» ist als mehrstufiges Verfahren angelegt, das auf eine datenbasierte Professionalisierung von Kursleitenden und Weiterbildungsanbieter*innen zielt. Die reflexiv-distanzierenden Einsichten in die Kursrealität ermöglichen eine professionelle Selbstverständigung über die Bedingungen und Effekte von Lehr-Lern-Situationen und erweitern das professionelle Entscheidungs- und Begründungswissen in der Erwachsenen- und Weiterbildung.
Projektteam
Stephanie Gyger, MA
Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Erwachsenenbildung und Weiterbildung
Klingovsky, U. 2021. Empirie im Kursraum – (An)Ordnungen des Lehrens und Lernens unter den Bedingungen der Digitalität. In: C. Bernhard-Skala, R. Bolten, J. Koller, M. Rohs, J. Wahl (Hg.), Perspektiven erwachsenenpädagogischer Digitalisierungsforschung, 2021, S. 39–54.