HIV-Prävention in der Schweiz bleibt eine Herausforderung
Rund 3000 in der Schweiz lebende Männer, die Sex mit Männern haben, gaben in einer Onlinebefragung Auskunft über ihr Sexualleben und ihr Schutzverhalten in Bezug auf HIV und andere sexuell übertragbare Krankheiten. Die Hochschule für Soziale Arbeit FHNW hat diese Daten im Auftrag des Bundesamts für Gesundheit ausgewertet.
Der neu erschienene Länderbericht der Schweiz beschreibt das Schutz- und Risikoverhalten von Männern, die Sex mit Männern haben, ihre Ressourcen, Kompetenzen und Zugangschancen sowie die Inanspruchnahme von Präventions- und Beratungsangeboten. Er soll eine Grundlage für die Planung und Umsetzung der Präventionsarbeit gegen HIV und andere sexuell übertragbare Krankheiten in der Schweiz bieten.
Der Länderbericht der Schweiz ist Teil des European MSM Internet Survey (EMIS-2017), der in 45 Ländern Europas sowie Israel, Libanon, Russland, Kanada und den Philippinen von der Forschungsgruppe SIGMA Research an der London School of Hygiene and Tropical Medicine durchgeführt wurde. Im Auftrag des Bundesamts für Gesundheit hat die Hochschule für Soziale Arbeit FHNW in Kooperation mit der Aids-Hilfe Schweiz den Länderbericht für die Schweiz erstellt. Es nahmen 3066 Männer an der Onlinebefragung teil. Das mittlere Alter der Befragten liegt bei 41 Jahren.
Die Mehrheit der Befragten bezeichnet sich als schwul oder homosexuell und pflegt einen offenen Umgang mit ihrer sexuellen Orientierung gegenüber ihrem sozialen Umfeld. Trotzdem hatte etwa jeder Dritte entweder nur einem kleinen Kreis von Bekannten oder gar niemandem gegenüber seine sexuelle Orientierung offengelegt.
Vielfältiges HIV-Schutzverhalten bei Männern, die Sex mit Männern haben
Unter den Befragten sind 323 Männer mit einer HIV-Diagnose. 95 Prozent sind in medikamentöser Behandlung und bei 98 Prozent davon sind die HI-Viren nicht mehr nachweisbar und können daher nicht mehr weitergegeben werden. Rund drei Viertel aller Antwortenden hatten Sex mit nicht-festen Partnern in den zwölf Monaten vor der Befragung. Bei den Männern ohne HIV-Diagnose benutzten mehr als die Hälfte beim Analsex mit diesen nicht-festen Partnern immer ein Kondom. Bei den Männern mit HIV-Diagnose taten dies 13.4 Prozent, was angesichts der Tatsache, dass die Virenlast bei 98 Prozent der Befragten in Therapie nicht mehr nachweisbar ist, wenig überrascht.
4 Prozent der Männer ohne HIV-Diagnose nutzten zur Zeit der Befragung die Prä-Expositionsprophylaxe zur Vermeidung einer HIV-Infektion. Damit liegt die Schweiz über dem Durchschnitt von 3 Prozent aller untersuchten Länder, jedoch auch deutlich unter dem besten Wert von 8.4 Prozent in Frankreich. Dort ist das Medikament zur Prä-Expositionsprophylaxe anerkannt und wird kostenlos in spezialisierten Gesundheitszentren abgeben. In der Schweiz hingegen ist das Medikament noch nicht als offizielle Präventionsmethode zugelassen. Knapp ein Drittel der in der Schweiz Befragten gaben an, dass sie bereit wären, das Medikament einzunehmen, wenn es denn verfügbar und bezahlbar wäre.
Viele erlebten Beleidigungen und Gewalt aufgrund ihrer sexuellen Orientierung
Relativ häufig erwähnt wurden Erfahrungen mit homophoben Einschüchterungen, Beleidigungen und Gewalt. Über die Hälfte der Befragten wurde bereits einmal in ihrem Leben auf Grund der Annahme, dass sie sich zu Männern hingezogen fühlen, angestarrt, bedroht oder beleidigt und 13 Prozent wurden auch schon deswegen geschlagen oder getreten.
Bei den Befragten zeigten sich eher selten starke und moderate Anzeichen von Angststörungen und Depressionen, jedoch konnten bei fast einem Drittel der befragten Männer milde Anzeichen dieser Störungen festgestellt werden. Auch fühlten sich 16 Prozent in den zwei Wochen vor der Befragung durch Suizidgedanken oder Gedanken, sich Leid zufügen zu wollen, beeinträchtigt.
Coming-out wirkt sich positiv auf HIV-Prävention aus
Analysen haben gezeigt, dass insbesondere dem Coming-out eine wichtige Bedeutung zukommt. Weitgehend geoutete Männer stehen zu ihrer Sexualität und Lebensweise. Dies scheint sich positiv auf den Umgang und die Auseinandersetzung mit Risiken von HIV und anderen sexuell übertragbaren Krankheiten sowie die Inanspruchnahme von Präventions- und Beratungsangeboten auszuwirken. Darüber hinaus ist anzunehmen, dass weitgehend geoutete Männer durch ihre Identifizierung mit der Zielgruppe besseren Zugang zu Informationen haben und mit der Community besser vernetzt sind.
Generell zeigt sich, dass eine hohe Zufriedenheit bezüglich den Informationen und der Unterstützung bei der HIV-Diagnose sowie beim letzten HIV-Test besteht.
Präventionsarbeit bei Männern, die Sex mit Männern haben, weiterhin von zentraler Bedeutung
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die zielgruppenspezifische Präventionsarbeit bei Männern, die Sex mit Männern haben, weiterhin eine Herausforderung darstellt. Für eine wirksame Prävention von HIV und anderen sexuell übertragbaren Krankheiten braucht es entsprechende Ressourcen und das Interesse der öffentlichen Hand, weiterhin in diese Arbeit zu investieren. Ebenso gilt es, das Bewusstsein für das Thema in der Community von Männern, die Sex mit Männern haben, aber auch in der Allgemeinbevölkerung aufrechtzuerhalten.