(Re-)Produktion von Differenz in der Hochschul- und Berufsausbildungspraxis – Lehrende und Praxisausbildende an Fachhochschulen im Fokus
Ungleichheitsverhältnisse im Zusammenhang mit Migration und Geschlecht sind auch in der Hochschullehre nach wie vor ein Thema. Das Projekt verdeutlicht den Bedarf an einer verstärkten Berücksichtigung von Diversitätsthemen sowie von gerechteren Studienbedingungen für Studierende mit Migrationshintergrund.
Leitfragen & Vorgehen
Das Forschungsprojekt wurde in der Deutsch- und Westschweiz durchgeführt und vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) gefördert. Folgende Leitfragen standen im Fokus:
- Inwiefern sind Hochschullehrende an Fachhochschulen und Praxisausbildende an der Herstellung resp. (Re)-Produktion von Differenzverhältnissen aufgrund von Migration und Geschlecht beteiligt?
- Wie nehmen Hochschullehrende und Praxisausbildende die Heterogenität der Studierenden in Bezug auf Geschlecht und Migration wahr?
Es wurden insgesamt 67 Expert*inneninterviews mit Hochschullehrenden und Praxisausbildenden in vier Fachbereichen (Soziale Arbeit, Pädagogik, Technik und IT sowie Wirtschaft und Dienstleistungen) durchgeführt.
Bedeutung des Projektes
Das Projekt schliesst Forschungslücken zu Ungleichheitsverhältnissen im Zusammenhang mit Migration und Geschlecht in der Fachhochschulforschung. Zudem liefert es wichtige Grundlagen für künftige Handlungsperspektiven für (Fach-)Hochschulangehörige (Lehre, Studiengangleitung, Studienmanagement), Praxisausbildende, Gleichstellungs- und Diversity-Abteilungen sowie International Offices.
Othering im Kontext von Migration
Othering ist ein Prozess, bei dem Menschen aufgrund ihrer Herkunft oder zugeschriebenen kulturellen Identität als «Andere» markiert werden und dadurch ausgegrenzt oder diskriminiert werden können.
Auch wenn gewisse Praxisausbildende sich explizit gegen Verallgemeinerungen und Stigmatisierungen aussprechen, sind Prozesse des «othering» im Umgang mit migrantisierten Studierenden erkennbar. So zeigen sich weiterhin Prozesse, bei denen Studierende aufgrund ihrer Herkunft anders behandelt werden. Im Umgang mit migrantisierten Studierenden wird die Vertrautheit mit einem «anderen» kulturellen Hintergrund zudem oftmals als Befähigung angesehen, um Menschen mit einem ebenso «anderen» Hintergrund besser zu verstehen. Dies führt dazu, dass der Migrationshintergrund der Studierenden gegenüber den fachlichen Kompetenzen in den Vordergrund gestellt wird.
Eine gewisse Orientierung an der Figur des «Normalstudenten» (Klein/Heitzmann 2012) – d.h. von lokaler Herkunft, welcher die regionale Sprache beherrscht und die regulären Zulassungsvoraussetzungen erfüllt –, wird von Hochschullehrenden problematisiert. So lässt sich aus den Daten festhalten, dass bspw. die Sprachanforderungen zur Studienzulassung Chancenungleichheiten verfestigen, wie die Forderung nach der Beherrschung «muttersprachlicher» Kenntnisse als Kriterium für die Zulassung zu Pädagogischen Hochschulen verdeutlicht. An den Hochschulen werden Studierende mit anderen Voraussetzungen und Bildungshintergründen, wie bspw. Studierende mit einem Nachteilsausgleich, Quereinsteigende oder Migrant*innen mit Deutsch als Zweitsprache, immer noch als «(Migrations-)Andere» resp. als Norm-abweichend betrachtet, was exkludierend auf sie wirken kann.
Im Alltagsbewusstsein verankerte binäre Geschlechternormen
Die Studie verdeutlicht, dass binäre Geschlechternormen kaum hinterfragt werden und Geschlechterstereotype die Erwartungen in Bezug auf berufliche Eignung nach wie vor beeinflussen. So kommen in den untersuchten Fachbereichen vergeschlechtlichte Vorstellungen professioneller Praxis zum Ausdruck, die bestimmte Tätigkeiten und Kompetenzen als «weiblich» oder «männlich» konnotieren. Dazu gehört beispielsweise die Vorstellung, dass Frauen besser kommunizieren können. Dabei werden Erwartungen in Bezug auf die berufliche Eignung mit geschlechterstereotypen Zuschreibungen verbunden.
Auch die verschiedenen Fachbereiche der untersuchten Hochschulen sind von Geschlechternormen geprägt. In der Technik und IT werden bspw. Studierende und Mitarbeitende in einem Feld sozialisiert, das überwiegend von impliziten Männlichkeitsnormen dominiert wird. In der Pädagogik geht die Überrepräsentation von Frauen im Bildungssystem u.a. mit Vorstellungen einher, dass Frauen für die Arbeit mit Kindern besser geeignet seien. Gleichzeitig wird angenommen, die Arbeitszeiten von Lehrpersonen würden mit unbezahlter Hausarbeit und Kindererziehung eher vereinbar sein, was nach wie vor meist mit Frauen in Verbindung gebracht wird.
Ergebnisse
Die Ergebnisse zeigen, dass es noch viel zu tun gibt, um die strukturellen Bedingungen an Hochschulen gerade auch in der Ausbildungspraxis diversitätssensibler zu gestalten. Die Autorinnen empfehlen eine stärkere Sensibilisierung für Diversität bei Lehrenden und Praxisausbildenden sowie eine kritische Reflexion eigener Vorurteile.