Auf dem Weg zur «evidenzbasierten Praxis»? - Evaluationen in Organisationen der Sozialen Arbeit
Eine Mehrheit von Organisationen der Sozialen Arbeit erfasst Ergebnisse ihrer Dienstleistungen. Die Nutzung dieser Daten wie auch die eingesetzten Methoden können sehr unterschiedlich sein. Ein Forschungsprojekt untersucht Evaluationsformen in der Sozialen Arbeit innerhalb der Deutschschweiz.
Im Tätigkeitsbereich der Sozialen Arbeit nimmt die Bedeutung von Evaluationen seit vielen Jahren zu. Neben der Erfassung von Leistungsdaten und Qualitätskennzahlen wird zunehmend die Ausweisung von «Wirksamkeit», d.h. der kurzfristigen oder langfristigen Ergebnisse sozialarbeiterischer Dienstleistungen gefordert. Ob Einrichtungen innerhalb der Deutschschweiz der geforderten Ausweisung von «Wirksamkeit» nachkommen und wie sie dabei vorgehen, ist bis anhin weitgehend unbekannt gewesen. «Es gibt keine einheitliche Vorgehensweise und verschiedene organisationsinterne und -externe Faktoren nehmen dabei Einfluss», findet das Forschungsteam um Edgar Baumgartner, Aline Kaufmann, Michael Lambertus von der Hochschule für Soziale Arbeit FHNW, das von Beat Hulliger und Wolfgang Beywl unterstützt wird. Bei genauerem Hinsehen öffnet sich ein breites Spektrum an verschiedenen Motivationen, Möglichkeiten und Formen der Umsetzungen. Im Forschungsprojekt «Auf dem Weg zur «evidenzbasierten Praxis»? - Evaluationen in Organisationen der Sozialen Arbeit» gehen sie daher der Frage nach, welche Evaluationsaktivitäten in Organisationen der Sozialen Arbeit existieren.
«New-Public-Management» und «evidenzbasierte Praxis»
Die Soziale Arbeit beruft sich auf evidenzbasierte Praxis als professionelle Norm. Wie die Medizin auch, stützt sie sich bei der Entwicklung und Umsetzung neuer Unterstützungsformen zunehmend auf Erkenntnisse aus klinischen Studien, Meta-Analysen etc. Damit findet ein Wissenstransfer aus der Wissenschaft in die Praxis statt. Gleichsam kann Erfahrungswissen aus dem Alltag der Sozialarbeitenden und der Klientel in die Wissenschaft einfliessen, indem Daten aus der Praxis systematisch gesammelt und ausgewertet werden. Evaluationen spielen hierbei eine besondere Rolle und stellen für die Weiterentwicklung der Profession ein wichtiges Instrument dar.
Im Sozialstaat wiederum hat mit der Modernisierung der öffentlichen Verwaltung, die unter dem Schlagwort «New Public Management» zusammengefasst wird, die Darstellung von Wirkung einen besonderen Stellenwert erhalten. Der Staat finanziert viele Leistungen der Sozialen Arbeit und fordert im Rahmen institutionalisierter Evaluationsprozesse die Überprüfung der Wirkung von Angeboten und Massnahmen.
«Evaluation Capacity» und Einflüsse des Umfeldes
Im Alltag der Sozialen Arbeit schlagen sich die zuvor beschriebenen Entwicklungen verschieden nieder. Organisationen unterscheiden sich in Bezug auf die Bedingungen, die innerhalb und ausserhalb der Organisation gegeben sind und einen fördernden oder hinderlichen Einfluss haben können. Hier legt das Forschungsprojekt einen weiteren Fokus: Wie steht es um das Vermögen von Einrichtungen der Sozialen Arbeit, Evaluationen durchführen zu können, die sogenannte «evaluation capacity»? Hierzu zählen beispielsweise zeitliche, finanzielle und technische Ressourcen ebenso wie die Haltung der Leitungsebene, die Organisationskultur sowie bestehendes Wissen und Kompetenzen zu Evaluationen. Daneben nehmen auch äussere Umstände wie externe Vorgaben oder Erwartungen seitens der Gesetzgebenden oder Finanzierenden Einfluss auf die Evaluationspraxis.
Forschungsdesign und Ziel
Der im Frühjahr 2021 versendete Online-Survey richtete sich an Leitungspersonen von insgesamt 1878 Einrichtungen im Sozialwesen der deutschsprachigen Schweiz. In einem standardisierten Fragebogen wurden die verschiedenen Organisationen zu ihren Evaluationsaktivitäten befragt. Dabei gaben sie Auskünfte zu allgemeinen Merkmalen ihrer Organisationen, zu ihren Evaluationsaktivitäten sowie zu organisationsinternen und -externen Einflüssen. Diese Datengrundlage soll einen Überblick über die Evaluationslandschaft von Einrichtungen der Sozialen Arbeit innerhalb der Deutschschweiz liefern. Damit belegen und ergänzen die Befunde aus der Deutschschweiz bestehende Erkenntnisse anderer nationaler und internationaler Forschungsarbeiten. Mit Hilfe der im Survey gewonnen Erkenntnisse werden in vertieften Fallanalysen die Organisationsprozesse genauer beleuchtet. Die gewonnen Ergebnisse zeigen, welcher Entwicklungsbedarf besteht, bzw. woran Evaluationsvorhaben im Alltag scheitern. Das Forschungsprojekt trägt dazu bei, zukünftige Evaluationen besser zu gestalten und bildet die Grundlage für mögliche Weiterbildungsangebote in diesem Bereich.