11.9.2023 | Hochschule für Architektur, Bau und Geomatik
«Wir brauchen Fachkräfte mit Know-how in nachhaltigem Bauen»
Die Baubranche in der Schweiz steht vor grossen Herausforderungen in Bezug auf Nachhaltigkeit. Trotz energieeffizienterer Neubauten verursacht der Gebäudesektor immer noch 25 Prozent der Treibhausgasemissionen im Land. Der Ressourcenverbrauch ist hoch, mit jährlich 63 Millionen Tonnen verbautem Material. Gleichzeitig entstehen jährlich 17 Millionen Tonnen Abfall durch den Rückbau von Gebäuden.
Korbinian Schneider, Geschäftsführer der Kooperation EN Bau und Dozent in unseren «CAS Nachhaltiges Bauen» und «CAS Zirkuläres Bauen», beleuchtet die aktuellen Herausforderungen, Initiativen und Weiterbildungsmöglichkeiten im Bereich nachhaltiges Bauen in der Schweiz.
Wie trägt die Baubranche in der Schweiz zur Nachhaltigkeit bei und welche Massnahmen werden ergriffen, um umweltfreundliche Bauprojekte zu fördern?
Die Baubranche in der Schweiz trägt zur Nachhaltigkeit bei, indem sie umweltfreundliche Bauprojekte fördert. Obwohl die Branche insgesamt eher träge ist und Innovationen zögerlich verfolgt, gibt es dennoch Unternehmen, die aktiv forschen und neue Ansätze verfolgen. Holzbauunternehmen revolutionieren den Vollholzbau und treiben die Automatisierung im Elementholzbau voran. Rückbauunternehmen automatisieren den Sortier- und Rückgewinnungsprozess von Abbruchmaterialien, um einen grösseren Anteil zu recyceln. Andere forschen zu Vorfabrikationsmethoden im Lehmbau, zur CO2-Einlagerung in Baustoffen, zur Digitalisierung von Wiederverwendungsprozessen und zu nachwachsenden Baustoffen. Es ist wichtig, ressourcenschonend zu planen und traditionelle Bauweisen mit regionalen und kreislauffähigen Baustoffen zu priorisieren. Durch verstärkte lokale Produktion können finanzielle und intellektuelle Werte in der Region gehalten werden.
Welche Herausforderungen sieht die Baubranche in der Schweiz in Bezug auf Nachhaltigkeit und wie werden diese angegangen?
Energieverbrauch und Emissionen sind ein zentrales Thema. Neubauten werden zwar immer energieeffizienter, aber der Gebäudesektor verursacht immer noch 25 Prozent der Treibhausgasemissionen im Land. Besonders bei schlecht isolierten Bestandsbauten mit Gas- oder Ölheizungen besteht Handlungsbedarf. Zusätzlich sind die Treibhausgasemissionen, die bei der Erstellung und dem Abriss von Gebäuden entstehen, noch nicht berücksichtigt. Der Bausektor ist weltweit für 40 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich. Auch der Ressourcenverbrauch ist ein Problem, da grosse Mengen an Rohstoffen verwendet werden, die nicht nachhaltig sind. Jährlich werden in der Schweiz 63 Millionen Tonnen Material verbaut. Es entstehen auch grosse Mengen an Abfall durch den Rückbau von Gebäuden, von denen ein Teil auf Deponien landet oder verbrannt wird. Die Schweiz hat sich zu den Pariser Klimazielen verpflichtet, erwartet aber gleichzeitig einen Bevölkerungsanstieg. Dies stellt den Bausektor vor massive Herausforderungen. Es gibt jedoch auch Chancen und Entwicklungsmöglichkeiten für die Branche. Die Zukunft wird zeigen, ob sie diese nutzen kann.
Wie unterstützt die Schweiz aktiv nachhaltiges Bauen und welche Initiativen werden ergriffen, um umweltfreundliche Bauprojekte zu fördern?
Wichtige Rahmenbedingungen sind:
- Die Ratifizierung des Pariser Klimaabkommens 2015, welches die Reduktion der Treibhausgasemissionen regelt.
- Der Kernkraftunfall in Fukushima, der 2018 zum Atomausstieg der Schweiz führte, was die Energieproduktion in der Schweiz radikal veränderte.
- Die Revision des Raumplanungsgesetzes 2012 reduziert, einfach gesagt, die zur Überbauung verfügbaren Flächen und fördert die Verdichtung nach Innen.
Die Annahme der Klimainitiative im Juni 2023 verankert gesetzlich eine Reduktion der Treibhausgasemissionen im Gebäudesektor. Es gibt Programme zur Dekarbonisierung der Industrie, zur Förderung neuer Technologien und zum Ersatz von Heizsystemen. Die EU-Taxonomie wird ab 2024 auch für die Schweiz relevant sein.
Eine Parlamentarische Initiative zielt auf Kreislaufwirtschaft ab. Der «Schweizerische Ingenieur- und Architektenverein» (SIA) setzt Gesetze und Vorschriften in Normen und Leitfäden um und fördert nachhaltige Raumplanung, nachhaltiges Bauen und Energieeffizienz.
Das Bundesamt für Energie fördert die Aus- und Weiterbildung von Fachkräften im nachhaltigen Bauen mit der «Bildungsoffensive Gebäude». Die Hochschulkooperation EN Bau für Energie und Nachhaltigkeit im Bauwesen ist ein Baustein davon und bietet ein modulares Weiterbildungsprogramm zum «Master of Advanced Studies in nachhaltigem Bauen» (MAS EN Bau) mit insgesamt 23 CAS-Kursen (Certificate of Advanced Studies) an.
Welche spezifischen Kenntnisse und Fähigkeiten werden durch Weiterbildungen im Bereich nachhaltiges Bauen vermittelt und wie können diese in der Praxis angewendet werden?
Nachhaltiges Bauen erfordert spezifisches Fachwissen aus verschiedenen Bereichen und kann nicht allein von einzelnen Planenden bewältigt werden. Weiterbildungen vermitteln das notwendige Fachwissen und die Fähigkeit, relevante Fragen zu stellen, sinnvolle Entscheidungen zu treffen und bei Bedarf Fachpersonen einzubeziehen. Die Kooperation EN Bau bietet ein breites Weiterbildungsprogramm mit insgesamt 23 CAS-Kursen in den Bereichen Architektur & Ingenieurwesen, Energie & Technik und Prozess & Management an. Diese können einzeln absolviert oder zu einem MAS kombiniert werden. Die Kooperation wird von EnergieSchweiz, der kantonalen Energiedirektorenkonferenz und dem SIA unterstützt, um den Wissenstransfer in die Baubranche zu fördern und die Klimaziele des Bundes umzusetzen. Die Weiterbildungskurse richten sich an Planende, Ausführende und Auftraggebende gleichermassen, da sie alle zur nachhaltigen Entwicklung beitragen können.
Wie können Unternehmen in der Baubranche von Mitarbeitenden mit einer Weiterbildung im nachhaltigen Bauen profitieren und welche Vorteile ergeben sich daraus?
Weiterbildungen sind ein wichtiges Instrument, um Mitarbeitende in der Baubranche auf dem aktuellen Stand zu halten und ihnen gezielt und effizient das erforderliche Fachwissen zu vermitteln. Da Mitarbeitende oft wenig Zeit für Selbststudium oder persönliche Weiterentwicklung haben, sind Weiterbildungen besonders wertvoll. Die gesetzlichen und normativen Anforderungen ändern sich ständig, insbesondere im Bereich Nachhaltigkeit, Ressourcenschonung und Klimaresilienz. Unternehmen, die relevant bleiben und das erforderliche Know-how aufbauen möchten, investieren daher in die Zukunft ihrer Firma. Obwohl Weiterbildungen Teilnahmegebühren und Arbeitszeit erfordern, ist das intellektuelle Kapital der Mitarbeitenden der zukünftige Marktvorteil. Das in Weiterbildungen erworbene Fachwissen kann in firmeninternen Treffen, Vorträgen oder Lunch & Learn-Formaten weitergegeben werden, sodass auch andere Mitarbeitende davon profitieren. Das Netzwerk, das in den Kursen aufgebaut wird, hilft Unternehmen zudem, die richtigen Kontakte zu Fachplanenden, öffentlichen Ämtern oder potenziellen Aufträgen für zukünftige Projekte zu knüpfen.
Wie unterstützen Unternehmen in der Baubranche ihre Mitarbeitenden bei der Teilnahme an Weiterbildungen im Bereich Nachhaltigkeit, und welche Vorteile ergeben sich daraus für das Unternehmen?
Viele Arbeitgebende haben den Mehrwert von Weiterbildungskursen erkannt und unterstützen ihre Mitarbeitenden entsprechend, entweder finanziell oder durch Arbeitszeitausgleich. Ihnen ist der Wert bewusst. Bei institutionellen Arbeitgebenden und größeren Firmen ist dies die Norm. Leider müssen wir jedoch feststellen, dass insbesondere Inhabende von Architekturbüros eher weniger kooperativ sind, sei es aus finanzieller Kurzsichtigkeit oder fehlender Zukunftsvision.
Architekturschaffende selbst haben jedoch den persönlichen Vorteil erkannt und finanzieren sich die Kurse selbst, nehmen ihre eigene Karriere und Weiterentwicklung selbst in die Hand und wechseln bei Bedarf zu neuen Arbeitgebenden.
Über Korbinian Schneider
Nach dem Architekturstudium in Lausanne und Rom arbeitete Korbinian Schneider als Architekt und Projektleiter in größeren Architekturbüros in Rotterdam, Mailand, Basel und Zürich. Irgendwann war dann genug betoniert und er absolvierte selbst den Weiterbildungskurs CAS Nachhaltiges Bauen, während er an der ETH Zürich als Entwurfsassistent im ersten Architekturjahr unterrichtete. Durch Kontakte der Weiterbildung erhielt er seine aktuelle Position am «Institut Nachhaltigkeit und Energie am Bau» (INEB) an der Fachhochschule Nordwestschweiz mit diversen Aufgaben.
Seit Januar 2022 leitet er die Geschäftsstelle der Kooperation EN Bau, einer Hochschulkooperation für Weiterbildung in Nachhaltigkeit und Energie am Bau. Ausserdem koordiniert er den Aufbau der neuen Materialmustersammlung FHNW mit Fokus auf biogenen und zirkulären Baustoffen. Gemeinsam mit Kerstin Müller von der Zirkular GmbH entwickelte er den neuen «CAS Zirkuläres Bauen» und führte ihn im Frühjahrssemester erstmals mit begeisterten Teilnehmer*innen durch.