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Morton Feldmans enharmonische Notation – hypothetischer Versuch einer «Entschlüsselung» anhand des Werks «String Quartet II»

Interpretationsforum und Konzert

Dienstag, 5. März 2024, 19 Uhr, 6-301

Interpretationsforum

Lecture-Performance: Morton Feldmans enharmonische Notation – hypothetischer Versuch einer «Entschlüsselung» anhand des Werks «String Quartet II»

Jürg Henneberger, Moderation
Friedemann Treiber, Violine
Daniel Hauptmann, Violine
Mirka Šćepanović, Viola
Benedikt Böhlen, Violoncello


Sonntag, 10. März 2024, 16-21 Uhr, Klaus Linder-Saal

Konzert

Morton Feldman (1926–1987): «String Quartet II» (1983) – ca. 5h

Friedemann Treiber, Violine
Daniel Hauptmann, Violine
Mirka Šćepanović, Viola
Benedikt Böhlen, Violoncello


Morton Feldman, geboren 1926 in New York. 1941 Beginn des Studiums bei Wallingford Riegger und Stefan Wolpe. 1949 traf Feldman John Cage, was sich als  eine der wichtigsten Begegnungen seiner musikalischen Laufbahn herausstellte. Daraus entstand eine künstlerische Vereinigung in New York, die sich der Musik Amerikas der fünfziger Jahre kritisch gegenüber stellte. Weitere Freunde und Beteiligte der damaligen New Yorker Künstlerszene waren die Komponisten Earle Brown und Christian Wolff, die Maler Mark Rothko, Philip Guston, Franz Kline, Jackson Pollock und Robert Rauschenberg, sowie der Pianist David Tudor. Die Kunstmaler beeinflussten Feldman, seine eigene Klangwelt zu finden, eine Klangwelt, die unmittelbarer und physischer war als sie je zuvor existiert hat. Daraus folgten seine Versuche mit graphischer Notation. Da jedoch diese Art von Notation allzu sehr in die Nähe der Improvisation führte, war Feldman nicht zufrieden wegen der Freiheit der Interpreten und den Ergebnissen, die daraus entstanden. Deshalb distanzierte er sich in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre wieder davon. 1973 wurde Feldman von der «University of New York» in Buffalo zum Edgar Varèse-Professor berufen, eine Stelle, die er bis zum Ende seines Lebens behielt. Im Juni 1987 heiratete Morton Feldman die Komponistin Barbara Monk. Am 3. September 1987 starb er in seinem Haus in Buffalo im Alter von 61 Jahren.

In den frühen achtziger Jahren, seiner Schlussperiode, beschäftigte Feldman sich weiterhin mit dem Verfahren, «Materialien verschmelzen zu lassen». Seine musikalische Sprache wird geprägt durch rhythmische «Patterns» oder melodische Gesten, die sich innerhalb wiederkehrender Zyklen variieren. Diese melodischen Gesten oder Akkorde sind oft von Stille umschlossen (Pausen in der Musiknotation). Solche Momente der Stille sind Teil des ganzen Musters oder Zyklus. Feldman schuf grosse Bewusstseinsblöcke – ein Bewusstsein des Augenblicks, eine Erinnerung an Strukturen oder an den Zustand des Andersgewesenseins oder Andersseins, und mithin einen «Erzählstil». Er erreicht eine einheitliche Sprache, indem er gewisse Parameter für alle späteren Stücke festlegt: so ist das Tempo meist Viertel gleich 63 - 66 pro Minute, die Dynamik bewegt sich im Bereich ppp - ppppp. Die Einheitlichkeit erstreckt sich bis in den graphischen Bereich: jede Zeile seiner Partituren ist eingeteilt in 9 Takte von gleicher Länge, unabhängig vom wechselnden Metrum. Im Bereich der Kammermusik schrieb er von da an wiederholt Werke mit einer Spieldauer von 45 bis 60 Minuten, sogar vier- bis fünf-stündige Stücke, wie «For Philip Guston» oder «String Quartet II». In Feldmans letzten Dekade seines Lebens sind insgesamt 9 Werke, die länger als 70 Minuten dauern, entstanden.

Morton Feldmans enharmonische Notation, die er ab den 1970er Jahren ausschliesslich und (fast) ausdrücklich für die Streichinstrumente anwendet, stellt die Interpreten bis heute vor ein Rätsel. Von Feldman selbst gibt es keine klare, eindeutige Aussage, was mit dieser Notation gemeint ist. Gesprächsweise hat Feldman bestätigt, dass die Notation mikrotonal gemeint ist, jedoch fehlt eine genaue Ausführung, wie diese Mikrotonalität umzusetzen ist. Der Komponist Marc Sabat hat gemeinsam mit Wolfgang von Schweinitz 2001 eine Notation entwickelt, die auf der Oberton-Theorie basiert. Diese Theorie basiert auf der mitteltönigen Intonation, wie sie Nicola Vicentino Mitte des XVI. Jahrhunderts in seinem Hauptwerk «L’antica musica ridotta alla moderna prattica» beschrieben hat. Die Gründe für diese Sichtweise bleiben für mich allerdings hypothetisch. Meiner Ansicht nach hat Feldmans Musik sehr wenig mit der «just intonation» zu tun, auf der diese Theorie beruht. Sie lässt sich auch nicht durch Aussagen in Feldmans Schriften oder Gesprächen überzeugend belegen. In meiner Sabbaticalarbeit habe ich 2020 meine eigene Theorie verfolgt und zu belegen versucht, die in diametralem Gegensatz zu Sabat’s Sichtweise steht. Meines Wissens ist es das erste Mal, dass ein Streichquartett versucht, diese enharmonische Notation in einer Aufführung ernst zu nehmen und hörbar zu machen.


Hinweis:
Jürg Henneberger: Mikrotonalität und Polymetrik bei Morton Feldman anhand der Werke «String Quartet II» und «For Philip Guston» Feldmans enharmonische Notation – hypothetischer Versuch einer «Entschlüsselung». Spielpraktische Neuausgabe des Trios For Philip Guston (Abschlussbericht des Sabbaticals von Jürg Henneberger Dezember 2019 – März 2020 an der Musik-Akademie Basel, FHNW)

Datum und Zeit

5.3.2024–10.3.2024, 19:00–22:00 Uhr iCal

Veranstaltet durch

Hochschule für Musik Basel

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