Open Educational Resources (OER) und Open Access
Die vergangenen Jahre waren geprägt durch eine zunehmende Öffnung des Zugriffs auf wissenschaftliche Publikationen und Bildungsressourcen, die häufig mit dem digitalen Wandel in Forschung und Lehre in Verbindung gebracht wird (Brown und Adler 2016). Ein besonders deutlich wahrnehmbares Merkmal des technologischen Fortschritts ist die rasante Verbreitung sozialer Medien: Die neuen Tools werden nicht länger ausschliesslich im privaten Bereich eingesetzt, sie ermöglichen mediengestützte Formen der kooperativen Wissensbildung und fördern eine zuvor nicht dagewesene Kultur des Teilens von Inhalten, „a new culture of sharing“(ebd. 2016, S. 18). Eine folgenreiche Entwicklung im Bildungsbereich ist der kostenlose Austausch von Lerninhalten über das Internet. Obwohl die Diskussion um offene Bildungsressourcen seit etwas mehr als zehn Jahren geführt wird, werden diese erst seit relativ kurzer Zeit häufiger eingesetzt, und nach der Beobachtung von Ebner et al. (2015) sind längst nicht alle Bildungsverantwortlichen mit dem Begriff vertraut.
Open Access – Freier Zugang zu wissenschaftlichen Arbeiten
Im Zusammenhang mit dem freien Austausch von Wissen sind die Begriffe Open Educational Resources (OER) sowie Open Access ein prominent diskutiertes Thema. Open Access bezieht sich auf den freien Zugang zu wissenschaftlichen Arbeiten wie Forschungsergebnissen etc. (Kerres 2016). Dieser ist im akademischen Bereich keine Selbstverständlichkeit. Forschende müssen möglichst viel publizieren, um die eigene Karriere zu fördern (Deimann et al. 2015). In der Regel müssen sie dabei alle Nutzungsrechte an die Verlage abtreten. Open Access ist für wissenschaftlichep Publikationen besonders wertvoll, da Bezahlschranken die freie Zirkulation des Wissens einschränken (ebd. 2015).
Open Access-Policy der FHNW
Die Direktion der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW hat im Januar 2017 eine Open Access-Policy verabschiedet. Damit bekennt sich die FHNW zum Prinzip des freien Zugangs zu Wissen. Die FHNW strebt an, möglichst viele ihrer Publikationen digital unentgeltlich anzubieten, um so der Ö̈ffentlichkeit den grösstmöglichen freien und einfachen Zugang zu wissenschaftlichen Arbeiten zu ermöglichen und diese transparent über ihre Forschungsaktivitäten zu informieren. Daher ermutigt die FHNW ihre Forschenden und Studierenden, ihre Arbeiten öffentlich zugänglich zu machen.
OER – Was ist das?
Für Open Educational Resources (OER) wird auch die Bezeichnung offene Bildungsressourcen verwendet. Bei OER handelt es sich nach Kerres und Heinen (2014, S. 194) um Lehr- und Lernmaterialien wie digitale Lehrbücher oder Online-Kurse, „die über das Internet und für den Nutzenden kostenlos abrufbar sind.“ Einige Definitionen schliessen auch Forschungsergebnisse als Ressourcen mit ein (Deimann et al. 2015). Das Thema wurde ab 2002 von „UNESCO, OECD und neuen Akteuren wie dem OpenCourseWare Consortium (OCWC)“ (ebd. 2015, S. 5) eingeführt. Am Anfang der Diskussion um offene Bildungsressourcen stand das „humanistische Ideal der ‚Bildung für alle’“ (Zauchner und Baumgartner 2007, S. 3). Bald wurde jedoch ihre Bedeutung für einen didaktischen Paradigmenwechsel hin zu innovativen pädagogischen Modellen wie das soziale Lernen erkannt. Dabei geht es um mehr als den freien Zugriff auf Bildungsmaterialien (ebd.): „If the goal is innovation, access alone is not enough“. Um mit Recht von Offenheit sprechen zu können ist eine Lizenzierung nötig, die auch die Veränderung von Materialen einschliesst. Wiley (2014: 6) unterscheidet als „5R permissions“ grundlegende Formen des Einsatzes offener Ressourcen: Diese sollten kopiert (retain), wiederverwendet (reuse), verändert (revise), mit anderen Materialien kombiniert (remix) und schliesslich in abgeänderter Form weiterverbreitet (redistribute) werden dürfen. „Damit wird das Zur-Verfügung-Stellen von Bildungsressourcen nicht mehr isoliert betrachtet, sondern eine hohe didaktische Innovationskraft vor allem in Zusammenhang mit einer kollaborativen Entwicklung und Nutzung bzw. Wiederverwendung gesehen“ (Zauchner/Baumgartner 2007: 3).
Urheberrechtsproblematik und OER
Aufgrund der Digitalisierung ist die Bearbeitung und Weiterverbreitung von Bildungsmaterialien sehr einfach geworden (Ebner et al. 2015). Dies kann gemäss Kerres und Heinen (2014) auch zu Unsicherheiten führen: Unter welchen Bedingungen dürfen digitale Inhalte überhaupt eingesetzt werden? Einerseits findet sich an Hochschulen die Vorstellung, dass Wissen und Bildung öffentliche Güter sind, die möglichst kostenfrei sein sollten (Ebner et al. 2015). Andererseits setzt das Urheberrecht sehr enge Grenzen für die Verwendung geschützter Materialien. Ein wesentliches Potential offener Bildungsressourcen wird deshalb darin gesehen, durch die Angabe der urheberrechtskonformen Nutzung von Materialien hier Klarheit zu schaffen (ebd.). Als Lizenzierungsmodell haben sich dabei die Creative Commons-Lizenzen (CC-Lizenzen) etabliert, deren zulässige Nutzungsvarianten im Kern auf Wiley’s (2014: 6) „5R permissions“ beruhen.
Mehr zur Creative Commons-Lizenzierung (CC-Lizenzen) findet sich hier.
Qualitätssicherung von OER
Im Zusammenhang mit dem Einsatz offener Bildungsressourcen werden häufig fehlende Möglichkeiten der Qualitätssicherung diskutiert (Filk/Bergamin 2009: 2): Führt unkontrolliertes Teilen nicht zu mangelhaften Materialien, zu „’quick and dirty’-Lernobjekten“? Kerres und Heinen (2014: 192) halten eine Prüfung von Internetinhalten angesichts der Materialvielfalt für illusorisch und zudem wenig sinnvoll: „Die pädagogische Qualität oder Relevanz eines Lernmediums kann nicht am Material selbst festgemacht werden, sondern kommt erst in der Nutzung im Lehr-Lernprozess zum Tragen“. Wirksame Möglichkeiten der Qualitätssicherung ergeben sich, sobald die Nutzenden in den Prozess der kollaborativen Weiterentwicklung und Bewertung von Ressourcen einbezogen werden (Deimann et al. 2015; Kerres/Heinen 2014). Ebner et al. (2015) meinen deshalb, dass offene Bildungsmaterialien grundsätzlich nicht schlechter als herkömmliche sind.
Herausforderungen der Verbreitung von OER
Obwohl die Bedeutung offener Bildungsressourcen für die Wissenskommunikation und für innovative pädagogische Modelle inzwischen erkannt wird, lässt sich gemäss Ebner et al. (2015: 152) noch längst keine „großflächigen Abdeckung in Bezug auf Lehrpläne und Themen des Bildungsangebots“ beobachten. Nach Deimann et al. (2015: 15) sind offene Ressourcen „noch nicht aus der ‚idealistischen Wolke’ in der Praxis der Hochschulen angekommen“.
Finanzierung: Kostenfreie Lernmaterialien sind nicht gratis. Als Ursachen werden neben technischen Hürden (Kerres 2016) u. a. die unklare Finanzierungslage, eine hinderliche Hochschulkultur sowie zum Teil nicht ausreichende Medienkompetenzen angeführt. Filk und Bergamin (2009) bezeichnen die Finanzierung kostenfreier Materialien als eine grosse Herausforderung für ihre Bereitstellung und Weiterentwicklung. Downes (2007) schlägt diesbezüglich mögliche Finanzierungsmodelle wie z. B. Mitgliedschaftsbeiträge oder staatlich geförderte Programme vor.
OER in einer skeptischen Hochschulkultur: Eine weitere Herausforderung ist eine ungünstige Hochschulkultur: Anhand einer Studie stellen Deimann et al. (2015: 27) fest, „dass es hauptsächlich kulturelle Hürden sind (z.B. gibt es oftmals keine Tradition des Teilens, sondern Materialien werden lieber selbst erstellt)“, die den Einsatz offener Bildungsressourcen erschweren.
Bedarf an Medienkompetenzen (bei Lehrenden und Lernenden): Ihre Verankerung erfolgt zudem nicht automatisch: Lehrpersonen benötigen umfangreiches rechtliches, technisches und didaktisches Wissen, um offene Inhalte nutzbringend einzusetzen, weshalb lückenhafte Medienkompetenzen zu einer skeptischen Haltung beitragen können.
Didaktisches Potential von OER
Eine gesellschaftliche Entwicklungstendenz, die häufig zusammen mit dem digitalen Wandel diskutiert wird, ist die zunehmende Bedeutung alternativer Lernformen wie das lebenslange Lernen (Bergamin/Filk 2009). Wenige verbringen noch ihre berufliche Karriere in einem einzelnen Tätigkeitsfeld. Was in der Ausbildungszeit gelernt wird, dient immer häufiger nur noch als Ausgangspunkt, während zusätzliches Wissen entlang des individuellen Lebenslaufs kontinuierlich erworben wird (Brown/Adler 2016). Aufgrund der raschen Wissensveralterung gelangen institutionalisierte Formen der Wissensvermittlung zunehmend an ihre Grenzen. Die „Wissensgesellschaft benötigt freien Zugang zu Wissen und den offenen Austausch“ (Ebner et al. 2015: 154). Wer sich mit den Diskursen zur Wissenskommunikation befasst, stösst unweigerlich auf das Thema der offenen Bildungsressourcen und deren „Potenzial einer längst überfälligen niederschwelligen Nutzung freier, webbasierter Ressourcen in der postindustriellen Gesellschaft um Wissen aktiv und kooperativ zu teilen“ (Filk und Bergamin 2009: 2). Dazu gilt es, das Internet und die darin befindlichen Bildungsressourcen auszubauen und den Austausch von Wissen möglichst einfach zu gestalten. Lehrende verstehen Lernen häufig als einen diskursiven Prozess der Wissensaneignung mit Auswirkungen auf das Verhältnis zu Lernenden: Die Grenzen zwischen lehren und lernen werden in sozialen Interaktionen unscharf. Digitale Medien können soziale Lernprozesse z. B. in (virtuellen) Communities of Practice (CoP) wirksam unterstützen. Bergamin und Filk (2009) halten CoP für besonders geeignete Promotoren offener Bildungsmaterialien, insbesondere um die Qualität der Materialien nachhaltig zu verbessern.
Fazit: Die Frage ist nicht, ob sondern wann OER sich in der Hochschullehre breitenwirksam verbreiten
Trotz dieser ernst zu nehmenden Herausforderungen bieten offene Bildungsressourcen und der digitale Wandel entscheidende Chancen für den freien Wissensaustausch und die Öffnung von Hochschulen. Zauchner und Baumgartner (2007: 5) meinen deshalb:
„Während manche Hochschulen noch nach dem ‚Warum?’ fragen, wird anderorts davon ausgegangen, dass OER Angebote in Zukunft für den Außenauftritt einer Institution/Hochschule ebenso außer Diskussion stehen werden, wie die Frage danach, ob eine Website erstellt werden soll oder nicht.“
Literatur
- Bergamin, Per/Filk, Christian (2009). 'Open Educational Resources' (OER) - Ein didaktischer Kurswechsel? In: Bergamin, Per/Muralt Müller, Hanna/Filk, Christian (Hg.). Offene Bildungsinhalte (OER). Teilen von Wissen oder Gratisbildungskultur? hep Verlag. S. 25–38.
- Brown, John Seely/Adler, Richard P. (2016). Minds On Fire. Open Education, the Long Tail, and Learning 2.0. In: Educause Review 43, 1. S. 16–32.
- Deimann, Markus/Neumann, Jan/Muuß-Merholz, Jöran (2015). Whitepaper Open Educational Resources (OER) an Hochschulen in Deutschland. Bestandsaufnahme und Potentiale 2015.
- Downes, Stephen (2007). Models for Sustainable Open Educational Resources. In: Interdisciplinary Journal of E-Learning and Learning Objects 3. S. 29–44.
- Ebner, Martin/Köpf Elly/Muuß-Merholz, Jöran/Schön, Martin/Schön, Sandra/Weichert, Nils (2015). Ist-Analyse zu freien Bildungsmaterialien (OER). Die Situation von freien Bildungsmaterialien (OER) in Deutschland in den Bildungsbereichen Schule, Hochschule berufliche Bildung und Weiterbildung im Juni 2015. Wikimedia Deutschland e. V. - Gesellschaft zur Förderung Freien Wissens.
- Filk, Christian/Bergamin, Per (2009). 'Open Educational Resources' (OER) - Ein medienpädagogischer Bildungsstandard im Web-2.0-Zeitalter? Zur diskursiven Verortung eines emergierenden Paradigmas.
- Kerres, Michael (2016). Open Educational Resources. In: Gronau, Norbert/Becker, Jörg/Sinz, Elmar J./Suhl, Leena/Leimeister Marco (Hg.). Enzyklopädie der Wirtschaftsinformatik. Berlin.Kerres, Michael/Heinen,
- Richard (2014). Open Educational Resources und schulisches Lernen: Das Zusammenwirken von Plattformen für Lernressourcen in informationell offenen Ökosystemen. In: Missomelius, Petra/ Sützl,
- Wolfgang/Hug, Theo/Grell, Petra/Kammerl, Rudolf (Hg.). Freie Bildungsmedien und Digitale Archive. Innsbruck: university press. S. 189–210.Wiley, David (2014). The MOOC Misstep and the Open Education Infrastructure.
- Zauchner, Michael/Baumgartner, Peter (2007). Herausforderung OER (Open Educational Resources). In: Merkt, Marianne/Mayrberger, Kerstin/Schulmeister, Ralf/Sommer, Angela/van den Berk, Ivo (Hg.). Studieren neu erfinden - Hochschule neu denken. Münster: Waxmann. S. 244–252.