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15.5.2024 | Pädagogische Hochschule

Lehrmittelentwicklung: Spannende Testläufe bei Lehrpersonen und Schulklassen

Lehrmittel sind im Schulalltag allgegenwärtig. Doch wer arbeitet eigentlich am Entstehungsprozess mit? Drei Expert*innen der PH FHNW geben Einblicke in die Entwicklung und Überarbeitung eines Lehrmittels – und Lehrpersonen erzählen, wie sie mitwirken konnten und warum ihre Klassen stolz sind.

«Die Sprachstarken» begleiten viele Schüler*innen im Bildungsraum Nordwestschweiz durch den Deutschunterricht. Seit einigen Jahren ist das Lehrmittel im Einsatz, nun wird es vom Verlag Klett & Balmer weiterentwickelt. Tim Sommer, Deutschdidaktik-Dozent am Institut Sekundarstufe I und II der PH FHNW, ist didaktischer Leiter der Überarbeitung des Bandes für die Klassen 7 bis 9. Auf das Schuljahr 2026/27 wird der weiterentwickelte Band 7 erscheinen. Die Bände 8 und 9 folgen dann in den Jahren darauf. «Die Lehrmittelverlage holen sich das fachdidaktische Know-how durch Expert*innen von pädagogischen Hochschulen», erklärt Tim Sommer. «Beim Aufbau habe ich viele Freiheiten, klar ist aber, dass das Lehrmittel mit dem Lehrplan 21 konform sein muss.»

Ähnlich äussert sich Claudia Zingg Stamm, Deutschdidaktik-Dozentin am Institut Primarstufe der PH FHNW. Sie hatte die inhaltliche Projektleitung für das Lehrmittel «Deutsch» des Lehrmittelverlags Zürich für die Klassen 4 bis 6 inne, das letztes Jahr erschienen ist. «Innerhalb der Rahmenbedingungen des Lehrplans 21 hatten wir rechte grosse Freiheiten. Meine Co-Leiterin, eine Primarlehrerin, und ich standen aber wöchentlich im engen Austausch mit dem Verlag.» Ebenfalls an «Deutsch» – allerdings an den Bänden für die Zyklen 2 und 3 – hat Nora Kernen mitgearbeitet. Die Deutschdidaktik-Dozentin am Institut Sekundarstufe I und II der PH FHNW sagt zu ihrer Rolle als Autorin und Expertin: «Wir hatten die Aufgabe, Inhalte, Kompetenzziele und aktuelle didaktische Verfahren aufeinander abzustimmen.»

Erprobung in Schulklassen

Ob die Lehrmittel funktionieren, wird in Schulklassen erprobt, die Lehrpersonen dieser Klassen bilden Echo- oder Erprobungsgruppen und geben den Lehrmittelentwickler*innen Rückmeldungen. «Diese Inputs sind sehr wertvoll für unsere Arbeit», sagt Claudia Zingg Stamm. «Wir nehmen sie ernst, für den 4.-Klasse-Band von ‘Deutsch’ haben wir beispielsweise ein Kapitel nach der Erprobung nochmals komplett neu geschrieben.» Die Lehrpersonen achten bei ihren «Probe-Lektionen» dabei auf eine breite Palette von Aspekten, wie die drei Expert*innen sagen: Ist das Thema grundsätzlich attraktiv und ansprechend für die Schüler*innen? Wie geht das Lehrmittel mit Heterogenität in den Klassen um? Funktioniert das vorgesehene Zeitmanagement in der Klasse? Sind die Beurteilungsvorschläge praktikabel?

Cornelia Schurter und Sabrina Hasler haben mit ihren Sek-A- und Sek-B-Klassen im Kanton Zürich Kapitel aus dem neuen Lehrmittel «Deutsch 7» und «Deutsch 8/9» erprobt. Beide hatten einen Aufruf gelesen, dass Testklassen gesucht werden. «Ich fand die Idee spannend, hatte eine gute und geeignete Klasse und es war ein realitätsnaher Auftrag, um das kritische Denken der Schüler*innen zu fördern. Es war eine sehr wertvolle Aufgabe», sagt Cornelia Schurter. «Als Neueinsteigerin in den Lehrberuf war es für mich zudem besonders interessant, Einblick zu erhalten, was im Bereich Lehrmittel als Nächstes auf den Markt kommt», ergänzt Sabrina Hasler.

Mitwirkung macht Schüler*innen stolz

Bei ihren Klassen kam die Aufgabe, ein neues Lehrmittel zu erproben, sehr gut an. «Die Schüler*innen fanden es cool. Normalerweise sind Lehrmittel gegeben und unantastbar, nun konnten sie eines kritisch betrachten und sich fragen, was sie in einem Lehrmittel bräuchten. Zudem freuten sie sich darüber, dass sie zu denjenigen gehörten, die mitreden durften», beschreibt Cornelia Schurter. Ähnlich war es bei Sabrina Hasler. «Die Schüler*innen waren schon ein bisschen stolz, dass sie am Probelauf teilnehmen durften.» Die Klasse hätte beim Erproben der Unterrichtseinheiten viel Spass gehabt, nicht zuletzt, weil die damals neuen iPads oft zum Einsatz kamen, so Hasler weiter. «Sie haben aber auch viel gelernt, am Ende beherrschten sie den behandelten Stoff», betont Hasler. Wenig überraschend war ihr Feedback an die Lehrmittelentwickler*innen überwiegend positiv.

Auch Cornelia Schurters Feedback zum neuen Lehrmittel war nach der Erprobung mehrheitlich positiv. «Das Timing ist super aufgegangen», erinnert sie sich. «Es gab auch viele Differenzierungsmöglichkeiten. Einzig die Aufgaben erschienen mir eher leicht», so Schurter. Beim Austausch mit den anderen Lehrpersonen, die mit ihren Klassen das Lehrmittel erprobt haben, zeigte sich dann aber, «dass sehr unterschiedliche Feedbacks kamen», sagt Schurter. «Das zeigt, wie komplex die Arbeit der Autor*innen ist.» Sabrina Hasler hat den Austausch mit den Autor*innen und den anderen Lehrpersonen als wertvoll empfunden. «Es zeigten sich unterschiedliche Ansichten und so eröffneten sich auch für mich neue Blickwinkel.»

Studierende profitieren ebenfalls

Von der Lehrmittelüberarbeitung oder -entwicklung profitieren letztlich auch die Studierenden der PH FHNW. «Sehr zentral ist neben dem Lehrmittel auch der Kommentarband», sagt Tim Sommer. «Die Autor*innen achten gezielt darauf, dass die Kommentare auch für Studierende und Neueinsteiger*innen geeignet sind. In den Lehrveranstaltungen kann anhand von Beispielen aus den Lehrmitteln gut aufgezeigt werden, wie Lernziele formuliert oder didaktische Analysen gemacht werden können.» Ohnehin gehöre zur Ausbildung an der PH, zu lernen, wie mit Lehrmitteln gewinnbringend gearbeitet wird. Nora Kernen führt noch weitere Aspekte an: «Im Autor*innen-Team haben wir uns intensiv mit Literatur auseinandergesetzt. Nicht alles fand Eingang ins Lehrmittel. In meinen Lehrveranstaltungen kann ich aber das Erarbeitete dennoch weitergeben. Und: Die Kooperation mit den engagierten Lehrpersonen in den Erprobungsgruppen ist ebenso wertvoll und findet Eingang in Aus- und Weiterbildung, zum Lehrmittel und darüber hinaus.»


Der Artikel erschien in «Das Heft», Ausgabe Nr. 11 (2024) zum Thema «Praxisbedeutsamkeit».


Im Bild (von links): Nora Kernen, Claudia Zingg Stamm und Tim Sommer

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Von Marc Fischer (Foto: Christian Irgl)

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